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Nana

Titel: Nana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Todes zu sein, an den sie nur denken durfte, um von fürchterlichem Frost geschüttelt zu werden.
    Muffat mußte sie jetzt in das Toilettekabinett hinüber begleiten. Sie zitterte, auch nur eine Minute allein dort zu bleiben, wenn auch die Tür offen bleibe. Als er wieder zu Bette gegangen war, ging sie noch eine Weile im Zimmer umher, besichtigte alle Winkel und fuhr bei dem leisesten Geräusch zusammen. Vor einem Spiegel blieb sie stehen, sie vergaß sich wie ehemals beim Anblick ihrer Nacktheit. Diesmal aber verdoppelte sich, als sie ihren Busen, ihre Hüften und Schenkel sah, nur ihre Angst. Schließlich betastete sie die Knochen ihres Gesichtes mit beiden Händen und sagte mit leiser Stimme:
    Wie häßlich ist man, wenn man tot ist.
    Dann zog sie die Wangen nieder, riß die Augen auf, zog die Kinnladen zurück, um zu sehen, wie sie als Tote aussehen würde; so entstellt, wandte sie sich zum Grafen und sagte:
    Schau einmal, ich werde ein ganz kleines Gesicht haben.
    Darüber wurde er wütend:
    Du bist verrückt, rief er; komm zu Bett.
    Er sah sie schon in der Grube, völlig fleischlos wie ein hundertjähriges Skelett. Er faltete die Hände und stammelte ein Gebet. Seit einiger Zeit hatte die Religion ihn wieder erfaßt. Anwandlungen von Gläubigkeit ergriffen ihn und versetzten ihn an manchen Tagen in solche Aufregung, daß er fast den Tod davontrug. Auch jetzt krachten seine Finger, so inbrünstig faltete er die Hände, indem er unaufhörlich wiederholte: Mein Gott ... Mein Gott. Mein Gott ... Es war der Schrei seiner Ohnmacht, der Schrei seiner Sünde, in der er kraftlos war, trotz der Gewißheit seiner Verdammnis. Als sie ins Bett zurückkehrte, fand sie ihn unter der Decke zusammengekauert, die Nägel in die Brust gedrückt, mit stieren Augen gleichsam den Himmel suchend. Da fing auch sie zu weinen an; sie umschlangen einander, ihre Zähne klapperten, sie wußten nicht weshalb; beide wälzten sich in der nämlichen schwachsinnigen Beklemmung hin und her. Sie hatten schon einmal eine ähnliche Nacht verbracht, allein dieses Mal war es geradezu unsinnig, wie Nana erklärte, als ihre Furcht vergangen war. In einem plötzlich auftauchenden Verdacht richtete Nana in vorsichtiger Weise an den Grafen die Frage, ob etwa Rosa Mignon den Brief abgesandt habe? Allein das war nicht der Fall; es war einfach die Angst, die ihn plagte; seine Hahnreischaft war ihm noch unbekannt.
    Zwei Tage später kam, nachdem er in der Zwischenzeit sich nicht hatte blicken lassen, der Graf vormittags zu einer ungewohnten Stunde. Sein Gesicht war bleich, die Augen gerötet, er bebte noch am ganzen Körper infolge eines inneren Kampfes.
    Doch Zoé, selbst aufs äußerste bestürzt, bemerkte seinen Zustand nicht. Sie lief ihm entgegen und rief:
    Ach, Herr Graf, kommen Sie rasch, Madame wäre gestern fast gestorben.
    Als er sie um Einzelheiten befragte, fuhr sie fort:
    Eine unglaubliche Geschichte hat sich ereignet. Eine Frühgeburt, Herr Graf.
    Nana war seit drei Monaten schwanger. Sie hatte lange Zeit an ein einfaches Unwohlsein gedacht, selbst Doktor Boutarel war über ihren Zustand im Zweifel. Als er ihr bestimmt erklären konnte, daß sie guter Hoffnung sei, empfand sie darüber einen solchen Verdruß, daß sie alles aufbot, um ihre Schwangerschaft geheimzuhalten. Ihre nervösen Furchtanfälle, ihre düsteren Stimmungen kamen zum Teil von diesem Zustande her, dessen Geheimnis sie mit einer Ängstlichkeit bewahrte, als sei sie eine gefallene Jungfrau. Ihr schien es ein lächerliches Ereignis; etwas, was sie herabsetzte und worüber man sie verspotten werde. Wird das eine Tratscherei sein. Ein wirkliches Unglück. Sie lebte in einer ewigen Aufregung; sie war gewissermaßen erniedrigt in ihrem Geschlechte; das macht also Kinder, meinte sie, selbst wenn man nicht will und es zu anderen Zwecken verwendet. Sie war wütend über die Natur, wütend über die würdige Mutterschaft, die da mitten in ihrem Leben voll Vergnügungen auftauchte; wütend über dieses Leben, das sie geben sollte, sie, die doch gewöhnt war, ringsumher den Tod zu säen. Kann man denn nicht über seinen Körper nach seinem eigenen Willen verfügen? Woher kam denn dieser Balg? Sie vermochte es nicht einmal zu sagen. Ach, wer ihn gemacht hatte, hätte ihn auch behalten können. Denn niemand hat nach ihm Verlangen getragen; er geniert jeden und wird gewiß kein glückliches Leben haben.
    Inzwischen erzählte Zoé die Katastrophe.
    Gegen vier Uhr hatte Madame Kolikanfälle.

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