Nana
Als ich ins Toilettekabinett kam, fand ich sie am Boden ausgestreckt in Ohnmacht; ja, mein Herr, in Ohnmacht, in einer Blutlache, als wenn sie ermordet worden sei. Ich begriff sofort und war wütend; Madame habe ihr Unglück gestehen können. Eben war Herr Georges da; er half mir sie aufheben. Als ich das Wort »Frühgeburt« aussprach, fiel er seinerseits in Ohnmacht ... Wahrhaftig, ich habe vieles überstanden seit gestern.
In der Tat schien das ganze Haus verstört; die Dienerschaft rannte über Treppen und durch die Zimmer. Georges hatte die Nacht auf einem Sessel im Salon zugebracht; er war es, der die Nachricht den Freunden Nanas gestern abend zur Zeit, wo Madame sonst empfing, mitteilte. Er war sehr bleich und erzählte die Geschichte den Besuchern voll Angst und Aufregung. Steiner, La Faloise, Philipp und noch andere waren gekommen. Bei den ersten Worten stießen sie Rufe der Überraschung aus. Unmöglich. Das muß eine Komödie sein. Dann wurden sie ernst und sahen mit gelangweilten Mienen auf die Tür ihres Zimmers; sie fanden die Geschichte gar nicht amüsant. Bis Mitternacht blieb etwa ein Dutzend Herren im Salon; sie plauderten leise vor dem Kamin, und jeden beschäftigte innerlich der Gedanke, ob nicht er der Vater sei. Mit verwirrten Mienen schienen sie einander entschuldigen zu wollen; dann krümmten sie den Rücken und dachten, das gehe sie nichts an, es komme von Nana. Sie wußte aber Überraschungen zu bereiten. Wer hätte Ähnliches von ihr je erwartet? Dann gingen sie einzeln auf den Fußspitzen fort wie aus dem Zimmer einer Toten, wo man nicht lachen darf.
Gehen Sie immerhin hinauf, sagte Zoé dem Grafen. Madame befindet sich jetzt um vieles besser und wird Sie empfangen ... Wir erwarten den Arzt, der versprochen hat, am Morgen wiederzukommen.
Die Zofe hatte Georges überredet, nach Hause zu gehen und sich auszuschlafen. Oben war niemand als Satin, die auf einem Sofa lag und gedankenlos in die Luft starrend ihre Zigaretten rauchte. Durch dieses Ereignis, das das ganze Haus in Bestürzung versetzte, war sie in stille Wut geraten. Sie begnügte sich, die Achseln zu zucken und gemeine Worte hervorzustoßen. Als Zoé mit Muffat an ihr vorbeikam und dem Grafen erzählte, wie grausam Madame gelitten, murmelte Satin:
Geschieht ihr recht; das wird für sie eine Lehre sein ...
Sie wandten sich überrascht um. Satin lag regungslos da und starrte, die Zigarette zwischen den Zähnen, auf die Decke.
Ah, Sie sind eine saubere Person, meinte Zoé.
Doch jetzt sprang Satin wütend von ihrem Lager auf, blickte dem Grafen geradeaus ins Gesicht und wiederholte:
Es geschieht ihr ganz recht. Das wird ihr eine Lehre sein.
Dann warf sie sich sorglos wieder auf das Sofa und blies den Rauch der Zigarette in die Luft mit einer Miene, die besagen wollte: die Geschichte ist zu dumm.
Zoé führte den Grafen in Nanas Zimmer. Ein Äthergeruch wogte in dem Gemach, dessen Stille nur selten durch das Geräusch eines durch die Villier-Allee rollenden Wagens gestört wurde. Nana lag bleich und mit offenen, träumerischen Augen auf ihren Kissen. Sie lächelte schwach, als sie den Grafen erblickte.
Ach, mein Kätzchen, sagte sie, ich glaubte nicht mehr, daß ich dich wiedersehen würde.
Als er sich niederbeugte, um ihre Hände zu küssen, wurde sie zärtlich; sie sprach im guten Glauben von dem Kinde, als ob er der Vater sei.
Ich wagte es nicht, dir etwas davon zu sagen ... Ich war so glücklich ... Oh, ich hatte so selige Träume ... Ich habe das Kind deiner würdig erziehen wollen ... Und nun ist alles aus ... Es ist übrigens vielleicht besser so ... Ich will dir in deinem Leben keine Verlegenheiten bereiten.
Er war verwirrt über diese zugemutete Vaterschaft und stammelte unverständliche Worte. Er hatte einen Sessel genommen und setzte sich zu ihrem Bette, einen Arm auf die Bettdecke stützend. Jetzt erst bemerkte Nana sein verstörtes Gesicht, seine geröteten Augen, seine fieberisch bebenden Lippen.
Was ist dir? fragte sie. Auch du bist krank?
Nein, hauchte er.
Sie sah ihn lange an, dann gab sie der Zofe, die sich im Zimmer zu schaffen machte, einen Wink hinauszugehen. Als sie allein waren, zog sie ihn enger an sich und wiederholte:
Was ist dir, mein Geliebter, deine Augen sind voll Tränen; ich sehe es ja. Laß hören, sprich, du bist gekommen, mir etwas zu sagen.
Nein, nein, ich schwöre es dir, stammelte er.
Doch, fast erstickt von innerem Leid und noch mehr ergriffen von diesem Krankenzimmer, in das er
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