Nana
daß du mit meinem Bruder kein Verhältnis hast.
Ah, das wird mir zu dumm, rief Nana und erhob sich voll Ungeduld. Ich sage dir ja, daß ich Eile habe. Bist du etwa mein Zuhälter? Zahlst du etwa hier, daß du Rechenschaft forderst? Ja, ich schlafe mit deinem Bruder.
Er hatte sie am Arme ergriffen und drückte diesen Arm heftig, wobei er stammelte:
Sage das nicht ... sage das nicht ...
Mit einem Stoß machte sie sich von ihm frei und rief:
Nun will er mich gar prügeln. Schaut das Bürschchen. Mein Kleiner, du wirst dich entfernen, und zwar sofort. Aus Artigkeit habe ich dich bei mir behalten. Aber du glaubst doch nicht, daß du mich für dein ganzes Leben zur Mama behalten willst? Ich habe Besseres zu tun, als Knaben zu erziehen.
Er hörte diese Worte mit einer Beklemmung, die ihn ganz erstarren ließ.
Jedes Wort traf ihn mit solcher Wucht im Herzen, daß er daran zu sterben glaubte. Sie schien sein Leiden nicht zu bemerken und fuhr gleichsam froh darüber, daß sie für die anderweitigen Verdrießlichkeiten dieses Tages sich bei ihm Erleichterung verschaffen könne, fort:
Gerade wie dein Bruder; auch ein sauberer Bursche. Er hat mir zweihundert Franken versprochen und läßt auf sich warten. Ich mache mir sonst nicht viel aus seinem Gelde. Es ist kaum genug, um meine Pomade zu bezahlen. Allein er läßt mich heute in einer Verlegenheit sitzen ... Und weißt du was? Wegen deines Bruders muß ich fortgehen, um mir mit einem anderen Mann fünfundzwanzig Louisdors zu verdienen.
Georges verlor vollends den Kopf; er vertrat ihr den Weg, weinte, flehte mit gefalteten Händen und sagte ein um das andere Mal:
O nein, o nein. Tu es nicht.
Ich brauche es, sagte sie. Hast du Geld?
Nein, er hatte kein Geld; er würde sein Leben hergegeben haben, um Geld dafür zu erhalten. Nie hatte er sich so elend, so unnütz, so kindisch gefunden. Sein ganzer, von Schluchzen geschüttelter Körper drückte einen so großen Schmerz aus, daß sie schließlich davon gerührt werden mußte. Sie schob ihn sanft beiseite und sagte:
Laß mich, mein Kätzchen, es muß sein. Sei vernünftig, du bist ein Kind, und das ging eine Zeitlang an! heute aber muß ich an meine Angelegenheiten denken. Überlege nur ein wenig. Dein Bruder hingegen ist schon ein Mann. Ich will nicht sagen, daß ich mit ihm nichts zu tun habe; aber erweise mir den Gefallen und erzähle ihm nicht, was vorgegangen ist. Er braucht nicht zu wissen, wohin ich gehe. Ich rede immer etwas zuviel, wenn ich im Zorn bin.
Sie lachte jetzt, dann küßte sie ihn auf die Stirne und entfernte sich mit den Worten:
Adieu, mein Kleiner. Es ist aus zwischen uns. Verstehst du. Es ist aus. Ich gehe jetzt.
Er stand aufrecht in der Mitte des Salons. Die letzten Worte gellten ihm wie der Schall einer Totenglocke in den Ohren. Es ist aus, es ist aus. Er glaubte, die Erde öffne sich unter seinen Füßen. In der Wüste seiner Gedanken war der Mann, der Nana erwartete, verschwunden, und Philipp allein blieb zurück, in den nackten Armen des jungen Weibes ruhend. Sie leugnete nicht, sie liebte ihn, da sie ihm den Kummer einer Untreue ersparen wollte. Es ist aus, völlig aus. Er holte tief Atem und blickte sich im Zimmer um, gleichsam erstickt unter einer ungeheuren Last. Die Erinnerungen kehrten einzeln wieder; die lachenden Nächte von La Mignotte, zärtliche Stunden, in denen er sich ihr Kind wähnte, dann Minuten der Wollust, die er in diesem Zimmer ihr geraubt, und nie, nie, niemals wieder ... Er war zu klein, er war nicht rasch genug gewachsen. Philipp wird ihn ersetzen, weil er schon einen Bart hat. So war es denn aus. Er konnte nicht länger leben. Sein Laster war in einer unendlichen Zärtlichkeit, in einer sinnlichen Anbetung aufgegangen, in der er sein ganzes Wesen hingab. Dann: wie soll er vergessen, wenn sein Bruder dableibt? Sein Bruder, ein wenig von seinem Blute, ein anderes Ich, dessen Glück ihn vor Neid töten werde? ... Es war das Ende, er wollte sterben.
In dem lauten Treiben der Dienstleute, die Madame zuvor ausgehen sahen, waren alle Türen offen geblieben. Im Vorraum unten saß der Bäcker und lachte mit Charles und Franz. Als Zoé in voller Hast durch den Salon kam, sah sie zu ihrer Überraschung Georges und fragte ihn, ob er vielleicht Madame erwarte. Ja, er erwarte sie, lautete seine Antwort; er habe ihr eine Nachricht zu überbringen. Als er allein war, begann er zu suchen. Da er nichts anderes fand, ergriff er im Toilettezimmer eine sehr spitzige Schere, die er
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