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Nana

Titel: Nana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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sechzig Jahren mit schlechten Zähnen und einem feinen Lächeln. Er hatte es sich bequem gemacht als ob er zu Hause sei, hörte alle Gespräche an, sagte aber kein Wort. Er machte eine Gebärde, mit der er ausdrücken wollte, daß er keineswegs beleidigt sei. Vandeuvres hatte seine würdige Miene wieder angenommen und bemerkte ernst:
    Herr Venot weiß recht wohl, daß ich glaube, was man glauben muß.
    Das war so gut wie ein religiöses Bekenntnis. Selbst Léonide schien befriedigt. Die jungen Leute im Hintergrunde des Saales lachten nicht mehr. Sie fanden den Salon zu streng und geziert und unterhielten sich nicht. Ein kalter Hauch wehte in dem Zimmer; man hörte in der Stille die näselnde Stimme Steiners, den die Zugeknöpftheit des Abgeordneten fast zur Verzweiflung brachte. Gräfin Sabine blickte ins Feuer, dann begann sie das Gespräch wieder.
    Ich habe, sagte sie, im vorigen Jahr den König von Preußen in Baden gesehen; er ist für sein Alter noch sehr rüstig.
    Graf Bismarck wird ihn begleiten, sagte Frau von Joncquoy. Kennen Sie den Grafen? Ich habe bei meinem Bruder mit ihm gefrühstückt. Das ist schon lange her! Es war zur Zeit, als der Graf preußischer Gesandter in Paris war. Er ist ein Mann, dessen neueste Erfolge mir unbegreiflich sind ...
    Warum denn? fragte Madame Chantereau.
    Mein Gott, wie soll ich Ihnen das erklären? Er gefällt mir nicht. Er ist von rücksichtsloser Art und schlecht erzogen. Auch finde ich ihn dumm ...
    Graf Bismarck war jetzt der Gegenstand des allgemeinen Gesprächs. Die Meinungen über ihn waren sehr geteilt. Vandeuvres kannte ihn und versicherte, er sei ein famoser Trinker und Spieler. Als das Gespräch seinen Höhepunkt erreicht hatte, öffnete sich die Tür ... Hektor de La Faloise trat ein. Fauchery, der ihm folgte, näherte sich der Gräfin und sagte, sich verneigend:
    Madame, ich habe mich Ihrer liebenswürdigen Einladung erinnert ...
    Sie antwortete mit einem verbindlichen Lächeln und einigen freundlichen Worten. Der Journalist grüßte den Grafen, dann stand er eine Weile ziemlich vereinsamt im Salon, wo er außer Steiner niemanden kannte. Jetzt wandte sich Vandeuvres zu ihm und drückte ihm herzlich die Hand. Fauchery, froh über diese Begegnung, zog ihn näher und flüsterte ihm zu:
    Also morgen ... Sind Sie dabei?
    Aber gewiß!
    Um Mitternacht bei ihr.
    Ich weiß ... Ich komme mit Blanche.
    Er wollte dann zu den Damen zurückkehren, um noch weitere Einzelheiten zugunsten Bismarcks vorzubringen, aber Fauchery hielt ihn zurück.
    Sie können sich nicht denken, welche Einladung sie mir aufgetragen hat.
    Er wies mit einer kaum merklichen Kopfbewegung nach dem Grafen Muffat, der in diesem Augenblick mit Steiner und dem Abgeordneten die Staatswirtschaft erörterte.
    Unmöglich! sagte Vandeuvres erstaunt und lachend.
    Mein Wort! Ich mußte ihr schwören, daß ich ihn mitbringe. Ich bin auch deshalb gekommen.
    Beide lachten still für sich hin. Dann trat Vandeuvres wieder zu den Damen und sagte:
    Ich versichere Ihnen, Graf Bismarck hat viel Geist. So sagte er eines Abends in meiner Gegenwart ein reizendes Wort ...
    La Faloise, der das leise Gespräch zwischen Fauchery und Vandeuvres angehört hatte, erwartete von diesem eine Erklärung, die aber nicht kam. Von wem sprachen die Herren? Was soll am folgenden Tag um Mitternacht geschehen? Er ließ seinen Vetter nicht mehr los. Fauchery hatte inzwischen Platz genommen; ihn interessierte vor allem die Gräfin Sabine. Man hatte oft ihren Namen vor ihm ausgesprochen; er wußte, daß sie mit siebzehn Jahren verheiratet wurde und jetzt vierunddreißig alt war, seit ihrer Vermählung ein wahres Klosterleben mit ihrem Gatten und ihrer Schwiegermutter geführt habe. In der Gesellschaft galt sie bei den einen als eine kalte Heilige; die anderen beklagten sie, indem sie sich ihres fröhlichen Lachens, ihrer großen, leuchtenden Augen erinnerten aus der Zeit, als sie sich noch nicht in dieses alte Haus begraben hatte. Fauchery beobachtete sie und zögerte mit seinem Urteil. Einer seiner Freunde, der vor kurzem erst als Kapitän in Mexiko gefallen war, hatte ihm am Abend vor seiner Abreise, als sie das Haus verließen, wo man zum Abschiede das Glas geleert, eines jener derben Geständnisse gemacht, die selbst die verschwiegensten Männer in gewissen Augenblicken sich entschlüpfen lassen. Aber er konnte sich daran nicht genau mehr erinnern; man hatte tüchtig getrunken an jenem Abend, und erzweifelt ... Er wurde in seinem Zweifel noch

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