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Nana

Titel: Nana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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entstanden. Die Kellner eilten mit neuen Schüsseln herbei: Poulardes à la maréchale, Seezungenfilets mit Sauce ravigote, Escalopes. Anstatt des Mersault, den man bisher getrunken, wurde jetzt Chambertin und Léoville eingeschenkt. Während des gemäßigten Gespräches, das der Tellerwechsel verursachte, fragte der erstaunte Georges seinen Nachbar Daguenet, ob denn alle diese Damen Kinder hätten? Daguenet, dem diese Frage Spaß machte, gab ihm Aufschlüsse über die Damen. Lucy Stewart ist die Tochter eines Engländers, der im Nordbahnhof als Wagenradschmierer bedienstet ist. Sie ist neununddreißig Jahre alt, ein wahres Pferdegesicht, aber liebenswürdig; sie ist schwindsüchtig, will aber nicht sterben. Sie ist am meisten »schick« unter allen diesen Damen, hatte drei Fürsten und einen Herzog als Liebhaber. Karoline Héquet, die Tochter eines kleinen Beamten zu Bordeaux, der vor Schande über das ungeratene Kind gestorben war, hatte das Glück, eine kluge Mutter zu besitzen, die, nachdem sie ihre Tochter verstoßen, nach einem Jahre der Überlegung sich mit dieser wieder versöhnt hatte, um ihr wenigstens ein Vermögen zu sichern. Karoline war fünfundzwanzig Jahre alt, sehr kühl, und galt für die schönste unter diesen Damen; der Preis war bei ihr unabänderlich. Die Mutter, eine Dame von strengem Ordnungssinn, führte die Bücher, in den Einnahmen und Ausgaben mit großer Genauigkeit verzeichnet wurden, und leitete auch den Haushalt von der kleinen Wohnung aus, die sie zwei Stockwerke höher inne hatte und in der sie eine Nähwerkstätte eingerichtet hatte. Blanche de Sivry, mit ihrem eigentlichen Namen Jacqueline Baudu, stammte aus einem Dorfe bei Amiens; sie war eine prächtige Person, wild und verlogen; sie behauptete, die Enkelin eines Generals zu sein, und leugnete ihre zweiunddreißig Jahre. Wegen ihrer Üppigkeit war sie bei Russen sehr beliebt. Über die anderen Damen der Gesellschaft ging Daguenet etwas flüchtig hinweg. Clarisse Besnus ward als Bonne von einer Dame aus Saint-Aubin-sur-Mer nach Paris gebracht und dann von dem Gemahl dieser Dame eingeführt. Simonne Cabiroche war die Tochter eines Möbelhändlers im Faubourg-Saint-Antoine und war in einem Pensionat zur Lehrerin erzogen. Ähnliche Existenzen waren Maria Blond, Lea de Horn, Louise Violaine, sie alle hatte das Pariser Pflaster hervorgebracht, von Tatan Néné nicht zu reden, die bis zu ihrem zwanzigsten Jahre in der Champagne die Kühe gehütet hatte.
    Georges hörte verblüfft diese in ungeschminkter, schonungsloser Weise gegebene Schilderung, während die Kellner hinter ihm respektvollen Tones wiederholten:
    Poulardes à la maréchale ... Filets de sole, Sauce ravigote ...
    Mein Lieber, riet ihm Daguenet, essen Sie jetzt keinen Fisch, er taugt nicht zu dieser Stunde, und trinken Sie nur Léoville, der ist nicht so heimtückisch.
    Die Kandelaber, die Schüsseln, die ganze Tafel, an der achtunddreißig Personen zusammengepfercht saßen, verbreiteten allmählich eine unerträgliche Hitze im Salon. Die Kellner eilten mit den Schüsseln auf dem Teppich umher, der schon hier und da Fettflecke aufzuweisen hatte. Das Essen aber wollte nicht recht heiter werden ... Die Damen kosteten nur und ließen das Fleisch stehen. Bloß Tatan Néné aß von allem mit großer Hast. In dieser vorgerückten Abendstunde gab es nur nervösen Hunger, Launen verdorbener Magen ... Der alte Herr an Nanas Seite wies alle Schüsseln zurück. Er hatte nur ein wenig Suppe genommen und saß dann in stummer Betrachtung hinter seinem leeren Teller. Da und dort ein stilles Gähnen, die Augen fielen zu, die Gesichter verlängerten sich. Es war tödlich langweilig wie immer, meinte Vandeuvres. Wenn solche Essen amüsant sein sollen, dürfen sie nicht anständig sein. Wenn man anständig bleiben will, speist man lieber in der guten Gesellschaft, wo es auch nicht langweiliger hergeht. Ohne Bordenave, der fortwährend brüllte, mußte man ja einschlafen. Dieses Tier von einem Bordenave ließ sich gleich einem Sultan von seinen Nachbarinnen Lucy und Rosa füttern. Sie beschäftigten sich nur mit ihm, pflegten ihn, hätschelten ihn und wachten, daß sein Teller und sein Glas nie leer wurde. Das alles hinderte ihn nicht, sich immer zu beklagen.
    Wer zerschneidet mir mein Fleisch? rief er. Ich kann es nicht; die Tafel ist ja eine Meile von mir entfernt.
    Jeden Augenblick erhob sich Simonne und erschien hinter seinem Sessel, um ihm sein Fleisch und Brot zu schneiden. Alle Damen

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