Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nana

Titel: Nana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
Nana um die Taille, wobei er das Haupt auf ihre Schulter stützte. Das Wetter hatte plötzlich umgeschlagen. Ein klarer Himmel wölbte sich über der Erde. Die volle Mondscheibe tauchte die Landschaft in ein Meer von goldenem Lichte. Eine überwältigende Ruhe herrschte über dem Tale, das sich auf die unendliche Ebene öffnete, wo einzelne Bäume ihre dunklen Schatten in den unbeweglichen See des Lichtes warfen. Nana wurde allmählich weich gestimmt, sie fühlte sich wieder als Kind. Solche Nächte hatte sie geträumt zu einer Zeit, die ihrem Gedächtnisse fast entschwunden war. Alles, was sie gesehen und erlebt, seitdem sie in Orleans die Eisenbahn verlassen: diese unermeßliche Landschaft, dieser duftige Pflanzenwuchs, dieses Haus, diese Gemüse- und Obstgärten, all das versetzte sie in einen solchen Taumel, daß es ihr schien, als habe sie Paris seit zwanzig Jahren verlassen. Ihr Leben von gestern schien in weite Fernen gerückt. Unbekannte Empfindungen erfüllten ihre Brust. Georges bedeckte ihren Nacken mit tausend Küssen, wodurch ihre Verwirrung nur noch gesteigert wurde. Mit zögernder Hand suchte sie ihn abzuhalten, wie wir ein Kind abhalten, dessen Zärtlichkeiten uns ermüden. Sie ermahnte ihn wiederholt, nach Hause zu gehen. Er sagte nicht »Nein«, versprach vielmehr, sich bald zu entfernen.
    Unter dem Fenster begann ein Rotkehlchen zu singen und schwieg dann wieder still.
    Warte, sagte Georges; es scheut das Lampenlicht, ich will die Lampe auslöschen. Wir werden sie dann wieder anzünden, fügte er hinzu, als er Nana wieder um die Taille faßte.
    Während der Kleine sich eng an sie schmiegte und unten das Rotkehlchen sang, verlor Nana sich in Erinnerungen. Einst hätte sie ihr Herz hingegeben für eine so sternenhelle Nacht, Vogelgesang und einen Mann, erfüllt von Liebe und Zärtlichkeit. Mein Gott! Sie hätte weinen mögen, so gut und schön fand sie es. Gewiß, sie war zu einem ehrbaren Leben geboren. Sie stieß Georges zurück, der allmählich kühner geworden war.
    Nein, laß mich ... Ich will nicht ... Es wäre abscheulich in deinem Alter ... Ich will deine Mama sein und bleiben, hörst du?
    Ein Gefühl der Scham erfaßte sie; sie wurde rot, obgleich sie niemand sah. Das Zimmer hinter ihr lag in tiefem Dunkel, während draußen die stille, friedliche Nacht sich über die Erde lagerte. Niemals hatte sie eine solche Scham empfunden ... Allmählich fühlte sie ihre Kräfte schwinden, obgleich die Verkleidung dieses Jünglings sie fast zum Lachen reizte. Es war, als ob eine Freundin mit ihr Scherz treiben werde.
    Ach, es ist schlimm, es ist schlimm! stammelte sie nach einer letzten Regung des Widerstandes.
    Dann sank sie wie eine Jungfrau in die Arme dieses Kindes ... Das Haus schlief in dieser stillen, schönen Nacht ...
    Als am nächsten Morgen in Fondettes die Frühstücksglocke geläutet wurde, da war die Tafel im Speisesaal nicht mehr groß. Der erste Wagen hatte Fauchery und Daguenet gebracht, nach ihnen kam mit dem nächsten Zug Graf Vandeuvres. Als letzter bei dem Frühstückstisch erschien Georges. Er war ein wenig bleich, die Augen umflort. Es gehe ihm besser, meinte er, doch fühle er noch die Nachwirkung des Anfalls. Seine Mutter strich ihm die schlecht geordneten Haare zurecht; er wich zurück, gleichsam verwirrt durch diese mütterliche Liebkosung. Bei Tische neckte sie den Grafen Vandeuvres, der nach fünf Jahren sich endlich doch entschlossen habe zu kommen.
    Er ging auf diesen Ton ein und erzählte, er habe gestern im Klub Unsummen verloren und sei nun in die Provinz gekommen, um mit dieser Lebensweise zu brechen.
    Es muß ja reizende Frauen in dieser Gegend geben, meinte er. Vielleicht finden Sie mir eine reiche Erbin.
    Madame Hugon dankte sodann den Herren Fauchery und Daguenet dafür, daß sie der Einladung ihres Sohnes gefolgt waren. In diesem Augenblick trat zu ihrer freudigen Überraschung der Marquis Chouard ein, den ein dritter Wagen gebracht hatte.
    Ah, rief sie aus, die Herren haben sich ja ein Stelldichein bei mir gegeben. Was geht denn vor? Seit Jahren habe ich mich vergebens bemüht, Sie bei mir zu versammeln. Doch es soll mir nur angenehm sein.
    Man legte noch ein Gedeck auf. Fauchery kam neben die Gräfin Sabine zu sitzen, die ihn durch ihre lebhafte Heiterkeit überraschte, um so mehr, als er sie im Salon ihres Palais in der Miromesnil – Straße sehr schweigsam und ernst gesehen hatte. Daguenet saß zur Linken Estellas und fühlte sich sehr unbehaglich in der

Weitere Kostenlose Bücher