Nana
aus der Ferne sichtbar sei? Der Alte brummte etwas Unverständliches – das war die Antwort. Nana hüpfte im Wagen voll Ungeduld, während Zoé, verdrießlich darüber, daß sie Paris so rasch verlassen, steif und schweigsam dasaß. Plötzlich hielt der Wagen. Nana, in der Meinung, daß sie am Ziele ihrer Reise sei, steckte den Kopf zum Wagenschlag hinaus und rief:
He, sind wir angekommen?
Statt aller Antwort hieb der Kutscher auf sein Pferd ein, das nur mühsam einen Hügel erklomm. Nana betrachtete mit Entzücken die unendliche Ebene, über die ein grauer, umwölkter Himmel sich wölbte.
Schau, Zoé, das viele Gras! Ist das etwa Getreide? Mein Gott, wie schön.
Man sieht wohl, daß Madame nicht vom Lande sind, sagte Zoé mit geringschätziger Miene. Ich habe das Landleben genug kennen gelernt, als ich bei dem Zahnarzt diente, der in Bougival ein Landhaus besaß. Übrigens ist's kalt heute abend; es ist feucht in dieser Gegend.
Jetzt fuhr man unter Bäumen. Nana sog den Duft des Laubwerkes mit der naiven Gier eines Hündchens ein. Plötzlich sah sie bei einer Biegung des Weges durch die Baumäste das Stück eines Hausdaches. Da wird es sein, dachte sie. Sie ließ sich mit dem Kutscher wieder in ein Gespräch ein, der noch immer »Nein« sagte.
Als sie die andere Seite des Hügels hinabfuhren, streckte er die Peitsche aus und brummte:
Da unten.
Sie erhob sich und neigte sich mit dem ganzen Körper zum Wagenschlag hinaus.
Wo denn, wo denn? rief sie bleich vor Aufregung, weil sie noch immer nichts sah.
Endlich entdeckte sie ein Stück von der Mauer. Dann gab es ein Schreien und ein Hüpfen, sie war überglücklich.
Zoé, ich sehe es schon, rief sie. Schau du zur andren Seite hinaus. Ach, auf dem Dache ist eine Terrasse. Da unten wieder ein Treibhaus. Aber, das ist ja recht, recht groß. Oh, wie glücklich bin ich. Schau doch, Zoé, schau.
Jetzt hielt der Wagen vor dem Gitter. Eine Tür wurde geöffnet, der Gärtner, ein langer, hagerer Mensch, erschien, mit der Mütze in der Hand. Nana mußte sich Zwang auferlegen, um ihre Würde zu bewahren und nicht hineinzulaufen. Sie hörte den Gärtner an, der in geschwätziger Rede sie um Verzeihung bat, daß noch nicht alles in Ordnung sei. Er habe erst heute morgen ihren Brief erhalten. Sie ließ ihn stehen und eilte so rasch ins Haus, daß Zoé ihr kaum zu folgen vermochte. Am Ende der Allee blieb sie stehen, um das Haus mit einem Blicke zu umfassen. Es war ein großer Pavillon in italienischem Stil, daneben ein zweites kleines Gebäude. Ein reicher Engländer hatte das Landhaus erbaut, nachdem er zwei Jahre in Neapel zugebracht, und war seiner auch bald überdrüssig geworden.
Ich will Madame das Haus zeigen, sagte der Gärtner.
Doch Nana war ihm schon vorausgeeilt. Sie rief ihm zu, er möge sich nicht weiter stören lassen, sie werde alles allein besichtigen, das sei ihr lieber. Ohne den Hut abzulegen, lief sie durch die Wohnräume, indem sie Zoé zurief, ihr zu folgen und ihr von einem Ende des Ganges zum andern allerlei Bemerkungen zuwarf. Sie erfüllte die leeren, seit Monaten unbewohnten Räume mit ihrem Gelächter und ihren Zurufen. Der Vorraum – meinte sie – sei ein wenig feucht, doch das schade nichts, man schlafe ja nicht darin. Sehr schick sei der Salon mit seinen auf einen Rasenplatz sich öffnenden Fenstern; nur sei die rote Einrichtung abscheulich, die müsse durch eine andere ersetzt werden. Und der prächtige Speisesaal! – Welche Feste könne man in Paris geben, wenn man solche Speisesäle habe. Im ersten Stockwerk angekommen, erinnerte sie sich, die Küche nicht gesehen zu haben. Sie lief wieder hinab und rief mit lauten Rufen Zoé herbei, damit sie den schönen Spülstein und den riesigen Herd bewundere, an dem man einen Hammel braten könne. Jetzt eilte sie wieder in das Stockwerk hinauf, und da war sie vor allem von ihrem Schlafzimmer entzückt, das ein Tapezierer aus Orelans mit zart rosafarbener Leinwand im Stile Louis XVI. überzogen hatte. Ah, da muß gut ruhen sein. Ein Nestchen für ein Pensionatmädchen. Dann folgten mehrere Gastzimmer und Speicher, wo man das Gepäck bequem unterbringen konnte. Zoé ging geduldig hinter ihrer Herrin her und betrachtete alle diese Dinge sehr kühl. Plötzlich sah sie Nana auf der Höhe der steilen Leiter, die vor den Speichern stand, verschwinden. Ah, dafür dankte sie; sie hatte keine Lust, sich die Beine zu brechen. Doch jetzt vernahm sie eine ferne Stimme, die durch eine Kaminröhre zu kommen
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