Nana
her gestoßen: sie schienen es nicht zu merken. Drei nachlässig frisierte Mädchen in schmutziger Kleidung erschienen auf der Schwelle und aßen Äpfel, wobei sie die Kerne ausspuckten. Die beiden Herren sahen zu Boden und ließen sich die schamlosen Scherze dieser Dirnen gefallen, die schließlich die Frechheit hatten, einander auf die Herren zu stoßen.
Jetzt stieg Nana die drei Stufen herab. Sie erbleichte, als sie Muffat bemerkte.
Sie sind's? stammelte sie. Bitte, reichen Sie mir den Arm.
Sie entfernten sich langsam. Der Graf, der allerlei Fragen vorbereitet hatte, fand jetzt kein Wort. Sie dagegen war sehr gesprächig und erzählte ihm mit großer Zungenfertigkeit, sie sei noch um acht Uhr bei ihrer Tante gewesen, dann aber, als sie sah, daß es Ludwig besser gehe, auf ein Stündchen ins Theater gegangen.
Gewiß aus einem wichtigen Grunde? fragte der Graf.
Ja, entgegnete sie nach einigem Zögern. Man führt ein neues Stück auf und wollte mein Urteil darüber hören.
Er merkte, daß sie log; aber als er ihren warmen Arm an dem seinigen fühlte, schwand ihm alle Kraft und Selbständigkeit. Er vergaß die Pein des langen Wartens und dachte nur daran, sie zu behalten, jetzt, da er sie hatte. Er hatte ja Zeit, am folgenden Tage zu erfahren, was sie in ihrer Loge zu tun hatte. Nana, sichtlich die Beute innerer Kämpfe, blieb an der Ecke der Galerie der Variétés vor dem Schaufenster eines Fächerhändlers stehen.
Ist das reizend! rief sie, auf eine Elfenbeingarnitur zeigend.
Dann fuhr sie in gleichgültigem Tone fort: Also, du begleitest mich nach Hause?
Gewiß, sagte er, dein Kind findet sich besser.
Sie sprach davon, daß der Knabe möglicherweise noch einen Anfall bekomme, und daß sie nach Batignolles zurückkehren möge; doch ließ sie davon wieder ab, als sie sah, daß der Graf sich anheischig machte, sie zu begleiten. Einen Augenblick wurde sie von der inneren Wut der Frau ergriffen, die sich in der Klemme sieht; doch faßte sie sich und dachte nur daran, Zeit zu gewinnen. Wenn sie bis Mitternacht sich seiner entledigt hatte, konnte noch alles nach Wunsch gehen.
Du bist frei heute, bemerkte sie, deine Frau kehrt erst morgen zurück?
Ja, erwiderte der Graf, einigermaßen verwirrt durch den vertraulichen Ton, in dem Nana von der Gräfin sprach.
Sie fragte, um wieviel Uhr die Gräfin eintreffen werde? Der Zweck dieser Frage war zu erfahren, ob er nicht die Gräfin vom Bahnhofe abzuholen gedenke. Dann verlangsamte sie ihre Schritte und schien sich für die Kaufläden sehr zu interessieren.
Schau, das schöne Armband, rief sie vor einem Juwelengeschäft.
Sie liebte es, durch diese Passage der Panoramen zu gehen. Diese Schwärmerei für das schillernde Geschmeide und die Galanterieartikel hatte sie aus ihren Jugendjahren behalten. Wenn sie vorüberkam, konnte sie sich von den Schaufenstern nicht trennen, ganz wie zu jener Zeit, als sie noch in ihren Kinderschuhen umherlief; sie vergaß sich vor den Süßigkeiten eines Schokoladehändlers, lauschte den Klängen einer Spieluhr in einem benachbarten Laden und wurde besonders durch den aufdringlichen Geschmack des wohlfeilen Tandes der Nähzeuge in Nußschalen angezogen, der Zahnstocherbehälter, der winzigen Nachahmungen der Vendômesäule und der Obelisken, die als Thermometerständer dienten. Heute abend jedoch schaute sie nur, ohne zu sehen; sie war zerstreut und verdrießlich. Es ärgerte sie, daß sie nicht frei war, und es kam ihr der Gedanke, irgendeinen dummen Streich zu begehen. Was hatte sie davon, daß reiche Verehrer ihr zu Füßen lagen? Sie ruinierte den Bankier und den Prinzen durch kindische Launen, ohne zu wissen, wohin das Geld kam.
Ihre Wohnung am Boulevard Haußmann war noch immer nicht vollständig möbliert. Bloß der Salon, ganz in rotem Satin, fiel durch die Überladung und Fülle an Möbeln auf.
Gerade jetzt wurde sie von ihren Gläubigern mehr als je gepeinigt. Seit einem Monate mußte sie diesem diebischen Steiner mit dem Hinauswerfen drohen, wenn sie tausend Franken von ihm haben wollte. Er schien völlig auf dem trocknen zu sitzen. Muffat wieder war in diesen Dingen ohne jede Erfahrung; er wußte nicht, wieviel man zu geben habe, und Nana konnte ihm wegen seines Geizes nicht zürnen. Ach, wie würde sie alle diese Leute an die Luft gesetzt haben, wenn sie sich nicht zwanzigmal täglich Grundsätze einer guten Aufführung wiederholt hätte! Es galt vernünftig sein; Zoé sagte es jeden Morgen, und sie selbst hatte stets
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