Nanking Road
Chaoufoong Road umgezogen sind. Du kannst dich glücklich schätzen, dass du zu uns kommen darfst, aber ich frage mich gerade: Was kannst du eigentlich beitragen? Worin bist du besonders gut?«
Ich warf einen letzten langen Blick zurück zur Garden Bridge, während wir im Strom der nach Hongkou flutenden Rikschas und Fußgänger mitgetrieben wurden.
Bis bald! , schwor ich mit einer grimmigen Entschlossenheit, die mich selbst überraschte.
Als ich mich wieder umdrehte, hatten sich zahlreiche Passanten zwischen mich und meine Freunde gedrängt und ich hatte Mühe, sie einzuholen. Allerdings bemerkten die beiden weder mein Zurückfallen noch mein Wiederauftauchen, denn Elwi hatte in der Zwischenzeit den prachtvollen Vorschlag gemacht, dass Mischa in der Schule doch einen Schachclub gründen könnte. Als ich endlich zu ihnen aufschloss, meldete sie sich gerade als erstes Mitglied an und ich trabte unbeachtet und zunehmend überflüssig hinter ihnen her.
Gerade begann ich mich zu fragen, ob ich nicht einfach abbiegen und die beiden »verlieren« sollte, als die Leute vor uns plötzlich zur Seite auswichen und wir uns einem Trupp brauner Uniformen gegenübersahen. Die Nazis schlenderten auf uns zu, breit, herausfordernd und mit Waffen über den Schultern. Hätte Mischa mich nicht geistesgegenwärtig zur Seite gerissen, wären sie glatt über mich hinweggetrampelt.
So war es Elwi, die fast umgerissen wurde, und trotz meines Schrecks war es eine kleine Genugtuung, dass Mischa zuerst mich gerettet hatte und nicht sie. Drohend zogen die Deutschen an uns vorbei und musterten jeden Einzelnen, als wollten sie sich unsere Gesichter einprägen. Etwas Kaltes schoss durch mich hindurch, als einer der Blicke mich traf. Er gehörte dem Jüngsten in der Gruppe, der kaum älter sein konnte als wir, und der Blick hielt mich sekundenlang fest, bevor er zu Mischa wanderte, aufflackerte und sich sofort wieder senkte.
Dunkles Haar, schlaksige Gestalt, wache Augen. Der kurze Moment hatte genügt, um Rainers Gesicht nicht mehr zu vergessen.
»Halt! Dieses Gebiet steht unter dem Befehl Seiner Majestät, des Tenno!«
Schon war der Auftritt vorbei. Vier japanische Soldaten traten den Deutschen in den Weg. Die waren sichtlich verdutzt und keiner von ihnen protestierte, als die Handvoll Japaner sie kurzerhand entwaffnete und zur Garden Bridge führte, als wären sie bei einem besonders dummen Streich ertappt worden.
Die Menge trat beiseite, um die Männer durchzulassen. Es war sehr still geworden. Als Letzter ging der Japaner, der die Waffen trug, wohl um sie den Nazis hinter der Brücke wieder auszuhändigen.
Plötzlich sagte jemand: »Da sperren sie uns ins Ghetto und schützen uns gleichzeitig vor den Deutschen. Das versteh ein anderer.«
Die ersten Flugzeuge sahen wir wenige Wochen später. Die Schlange vor dem »Büro für staatenlose Flüchtlinge« zog sich um den halben Block; stundenlang standen Elwi und ich nach der Schule an Mamus Stelle um einen Passierschein fürs Settlement an, damit meine Mutter zwischendurch nach Hause gehen, etwas essen und sich ausruhen konnte. Am Vortag hatte ich auch schon den Platzhalter gespielt, war für zwei Stunden sogar von Tante Irma abgelöst worden, aber vergebens, während der Geschäftszeit des selbst ernannten »Königs der Juden« rückten wir nicht einmal bis zur Eingangstür vor.
Auf den berüchtigten japanischen Offizier, der mit nur zwei Kollegen für die Flüchtlinge zuständig war und sich als General Goya anreden ließ, hatte ich persönlich noch keinen Blick werfen dürfen, doch sein Ruf war ihm vorausgeeilt, sodass ich zumindest hätte mitreden können, während ich mit den Passierscheinanwärtern Schlange stand. Ich hörte aber lieber zu, den Regenschirm als Sonnenschutz über Elwi und mir aufgeklappt. Es war Ende Juni und buchstäblich zu heiß, um zu reden. Neben mir hatte Elwi den bequemeren Platz an der Hauswand übernommen und lehnte halb schlafend an der Mauer. Eine von uns würde nach Hause laufen und Mamu holen, wenn wir uns dem Eingang näherten.
»Heute sind weniger starke Männer hier«, witzelte eine Frau. »Es wird also schneller gehen als gestern.«
»Ja, vielleicht kommt er zwischendurch sogar vom Tisch«, meinte eine andere.
Den meisten war jedoch nicht nach Witzen zumute. Der »König der Juden« war kleinwüchsig und hatte es auf jeden jüdischen Mann abgesehen, der ihn überragte. Vor besonders Stattlichen kletterte er auf seinen Schreibtisch und ohrfeigte
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