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Nanking Road

Nanking Road

Titel: Nanking Road Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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mir einen Weg ins Gebäude. Mit mir drängten Leute hinein, die Tüten mit Reis, ganze Schütten Kartoffeln oder Kartons mit Milch- und Sojapulver brachten.
    »Du kannst Gemüse schneiden«, nahm mich eine Frau in der Tür in Empfang, bevor ich auch nur den Mund aufgemacht hatte, und schob mich weiter in einen Raum, wo ich Platz zwischen anderen Mädchen und Frauen fand und sogleich ein Messer in die Hand gedrückt bekam.
    Unter denen, die sich durch Möhren, Kohl und Rettiche arbeiteten, waren auch zwei Chinesinnen. Sie standen so selbstverständlich unter uns Langnasen, dass auch ich mich schon kaum noch erinnerte, wie undenkbar es bis vor wenigen Stunden gewesen wäre, dass sie eins der Heime betraten. Draußen riss der Strom der Lebensmittelspenden nicht ab.
    Meine Erleichterung war unendlich, als ich kurz vor Beginn der Ausgangssperre, die, wie uns eindrücklich klargemacht wurde, nach wie vor galt, nach Hause kam und feststellte, dass die Schäden in der Chusan Road gering waren. In unserer Wohnung war Putz von den Wänden gerieselt, die Möbel von einer Staubschicht bedeckt; entlang der Zimmerdecke zog sich ein gezackter Riss, der an einen Blitz erinnerte, aber die Wände und Fenster hatten gehalten. Papa, Herr Fränkel und Herr Hu mussten bessere Zimmerleute sein, als wir alle gedacht hatten.
    Mamu war aufgewühlt. Sie hatte Papa ihre Geschichte schon erzählt, aber als ich kam, platzte sie gleich noch einmal damit heraus.
    »Im Ward Road-Spital lagen die Verletzten buchstäblich in ihrem Blut, aber glaubst du, einer der chinesischen Ärzte wäre aus dem Behandlungszimmer gekommen? Sie haben sich geweigert, ohne Bezahlung zu arbeiten! Aus der ganzen Nachbarschaft wurden jüdische Ärzte zusammengetrommelt und baten um Instrumente, um operieren zu können, aber selbst das wurde ihnen verweigert. No money, no money! Schließlich haben sich unsere Ärzte mit Gewalt Zutritt zu den Operationssälen verschafft.«
    »Chinesen mögen sich für Fremde nicht verantwortlich fühlen, aber sie sind die Einzigen, die uns unter sich dulden. Vergiss das nicht, Margot!«
    »Wie geht es denn Oma Hu?«, fragte ich.
    »Sie ist kreuzunglücklich mit ihren beiden Gipsverbänden. Sie sieht mich so vorwurfsvoll an, als hätte ich ihr eigenhändig die Arme gebrochen! Aber ihr Sohn hat sich tausendmal bedankt und uns sogar Gurken heraufgebracht.«
    Mamu hielt mir die Schale hin, ich nahm mir ein Stück Gurke und biss kräftig hinein.
    »Hast du Fränkels gehört, als du gekommen bist?«, fragte Papa mich. »Sie helfen wahrscheinlich irgendwo, aber wenn sie in einer Viertelstunde nicht hier sind, könnte es Ärger geben.«
    »Die arme Kleine! Sie muss völlig übermüdet sein«, meinte Mamu.
    »Ja, ist sie denn nicht bei Hus?«, fragte Papa alarmiert.
    »Nein, sie war doch mit ihren Eltern …«
    Mamu brach verwirrt ab. Plötzlich steckte der Apfel wie ein Felsbrocken in meinem Hals.
    »Mamu«, flüsterte ich, »wie heißt das Heim, in dem sie ihr Mittagessen bekommen?«
    »Herrje. Ein kleines Heim in der Dent Road mit irgendeinem putzigen Namen, der nach Berliner Eckkneipe klingt. Der rettende Engel oder so ähnlich. – Ziskele, um Gottes willen, was ist, was hast du denn?«
    Wir beerdigten Fränkels nach der jüdischen Tradition schon am folgenden Tag. Die Chewra Kadisha hatte sie über Nacht hergerichtet und anhand der Papiere, die jeder von uns bei sich trug, schon gewusst, um wen es sich handelte. Auch das Findelkind aus der Chusan Road war bekannt. Aber die Gemeinde war froh, dass dennoch jemand auftauchte, der Fränkels formell identifizieren konnte und zumindest als Nachbarn zu ihnen gehörte.
    Die Särge wurden über eine breite Grube gehievt, in der die ganze Familie Platz fand, und die Klappen im Boden geöffnet. In Tücher gewickelt, fielen die Leichname in die Erde. Diskret trug man die Särge davon, sie wurden noch gebraucht. Zweiunddreißig Gruben waren in der Nacht für Flüchtlinge ausgehoben worden, die Toten der Chinesen waren ungezählt.
    Ich konnte mich kaum auf den Beinen halten. Als Gerda, mein »Patenkind«, zwischen ihre Eltern fiel, schwankte auch Papa.
    Wie wir vom Friedhof, der außerhalb des Ghettos lag und für den wir alle Passierscheine benötigten, nach Hause kamen, weiß ich nicht mehr. Ich sehe Mamu und mich jedoch am Abend in der leeren Wohnung stehen. War es vor oder nach der Beerdigung, dass mit gesenktem Blick Nachbarn kamen und nach noch brauchbaren Kleidungsstücken fragten? Fränkels hatten

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