Nanking Road
paar Lebensmitteln einen Gutteil an euch ab, und die Geschäfte macht ihr!«
»Die Geschäfte machen nicht zuletzt die britischen und amerikanischen Soldaten«, wehrte ich mich. »Mit ihren Zigaretten halten sie den Schwarzmarkt doch erst am Leben.«
Marge Read kniff die Lippen zusammen. Mildred Read kicherte. »Wir waren ja«, verriet sie diskret, »auch nicht ganz ohne Erfolg auf dem Black Market , stimmt’s, Bekka?«
Meine Freundin zwinkerte mir zu. »Vergiss nicht, dass Ziska kein unterlegener Kriegsgegner ist, Tante Marge. Noch einen Scone?«
»Ja, kommt denn die Kleine nicht noch?«, fragte Marge Read.
»Die Kleine«, erwiderte Bekka gelassen, »wird versuchen, sofort wieder zu gehen, wenn sie merkt, wer hier ist. Auf keinen Fall wird sie einen zweiten Scone verdrücken.«
»Na dann«, meinte Marge und griff erfreut zu.
»Betti weiß nicht, dass du hier bist, Ziska«, sagte Bekka zu mir. »Aber sie kommt nachher noch vorbei und ist sie einmal drin …«
Bekka stand auf. Schnapp, machte der Schlüssel im Schloss. »Du hast nur drei Tage!«, erinnerte sie mich, bevor sie die Tür wieder aufsperrte.
Mildred Read gluckste erwartungsvoll. Nicht einmal eine halbe Stunde war ich in ihrem Haus; das Rattern, Schaukeln und Dröhnen der langen Reise steckte mir in allen Knochen und ich hätte nichts dagegen gehabt, häusliche Krisen noch bis zum nächsten Tag aufzuschieben. Aber wenn ich Bekka und die Schwestern Read richtig einschätzte, dann war mir die Regie über mein Zusammentreffen mit Betti bereits aus der Hand genommen.
Wir saßen in ihrem kleinen, mit Möbeln vollgestopften Wohnzimmer, wo sie des unbeständigen Wetters wegen die Teetafel gedeckt hatten, aber die Terrassentür stand offen und gab den Blick frei auf einen verwilderten Streifen Vogelgarten und mehrere Reihen Gemüsebeet. Dazwischen wölbte sich eine kleine, nach vorne offene Wellblechhütte: ihr Anderson-Shelter, der nun offenbar als Geräteschuppen diente.
Bekka folgte meinem Blick und bemerkte: »Wir haben diesen Ziegenstall nie benutzt, der Kartoffelkeller schien uns bei Fliegeralarm doch etwas stabiler.«
»Und wir haben immer nur an der Hauswand zum Hinterhof gekauert. In Shanghai gibt es keine Keller und das einzige Gebäude im Ghetto mit ausreichend dicken Mauern war ausgerechnet das Gefängnis. Man durfte bei Alarm hinein, aber wir haben lieber verzichtet. Wir waren nämlich nie ganz sicher, ob die Japaner uns wirklich wieder herauslassen …«
»Lasst uns nicht über den Krieg sprechen«, unterbrach Marge schaudernd.
Eine kleine verlegene Pause entstand. Ich war fast erleichtert, als ein Klopfen an der Haustür meine Cousine ankündigte. Betti ließ sich selbst hinein. Sie winkte Bekka, gab den Schwestern einen Kuss, streifte mich mit einem freundlichen Nicken und setzte sich, um – ganz wie früher – nur noch Augen für das Essen zu haben.
Tante Ruth hatte keine Fotos von mir nach England mitgegeben, so viel stand fest. Betti hatte keine Ahnung, wer ich war, während meine eigene Erinnerung mich auf beinahe beklemmende Weise heimsuchte: Vor mir saß eine fünfzehnjährige Ausgabe von Tante Ruth.
Schnapp . Bekka stand in der Tür und verschränkte die Arme.
»Hallo, Betti«, sagte ich, wie nun wohl von mir erwartet wurde.
Über das Gesicht meiner Cousine huschten in schneller Folge verschiedene Gefühle, keins davon erfreulich. Am Ende färbte es sich puterrot. »Was macht die denn hier?«
» Die heißt Ziska und ist meine beste Freundin, wie du immer schon wusstest«, erwiderte Bekka, ließ den Schlüssel in ihrer Rocktasche verschwinden und setzte sich wieder zu uns.
»Meine aber nicht«, fauchte Betti und wandte störrisch den Blick ab, um sich dem Zerkrümeln ihres Scones zu widmen. Nach einigen Sekunden hob sie den Kopf und schleuderte mir entgegen: »Ich erinnere mich nicht einmal an dich!«
»Wir konnten uns nicht ausstehen«, half ich nach.
Bekka und die Schwestern Read beobachteten die Familienzusammenführung mit sichtlichem Interesse.
»Schön, und was soll ich dann hier?«, zischte Betti.
»Ach, ich dachte, ich könnte, während ich Bekka besuche, nebenher auch einen Blick auf dich werfen«, erwiderte ich schulterzuckend. »Vielleicht kann ich deinem Vater dann nächste Woche erzählen, dass es sich gar nicht lohnt, um dich zu weinen.«
»Na, na, na«, murmelte Mildred.
Betti starrte mich über den Tisch hinweg an. Sie war misstrauisch, aber auch überrascht.
»Damit wäre euch beiden geholfen«,
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