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Nanking Road

Nanking Road

Titel: Nanking Road Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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obwohl ich genau wusste, dass er es anders gemeint hatte.
    Für den Rest des Weges gingen wir schweigend nebeneinander her. Je eher ich mich ans Alleinsein gewöhnte, desto besser.
    Als Papa nach Hause kam, waren Konitzers schon umgezogen und nicht nur das: Auch ihr Bett war bereits neu belegt, der fröhliche Pünktchenvorhang verschwunden, und ich ertappte mich dabei, wie ich immer wieder zu der Stelle sah, wo er bis gestern gehangen hatte. Konitzers Pünktchen waren ein größerer Lichtblick in unserem trübseligen Schlafsaal gewesen, als mir bis zu ihrem Verschwinden bewusst gewesen war.
    »Und wann sind wir an der Reihe?«, fragte Mamu, der der Umzug von Tante Irma zusetzte.
    »Wenn wir die Arbeit nicht dauernd unterbrechen müssten«, meinte Papa, »wären wir schon weg.«
    Seine Tätigkeit auf dem Bau wurde nämlich durch eine merkwürdige Regelung erschwert: Chinesen durften nicht sehen, dass er arbeitete! Körperliche Arbeit war für Weiße in dieser Gesellschaft undenkbar, sie hätte die Chinesen verstört und uns Zuwanderer »das Gesicht verlieren lassen«, deshalb wurde an den Baustellen, die Flüchtlinge beschäftigten, die Arbeit sofort unterbrochen, wenn ein Chinese zusah.
    Mamu fand es zwar erfreulich, in den Augen unserer neuen Umgebung wieder ein Gesicht zu haben, das man verlieren konnte, andererseits verlor sie zunehmend die Geduld mit den seltsamen Gepflogenheiten um uns herum. »Verdammt«, sagte sie unumwunden, »könnt ihr keinen Zaun um die Baustelle ziehen? Wenn das so weitergeht, sind wir im Sommer noch hier!«
    »Es gibt kein Holz für einen Zaun«, erwiderte Papa gelassen, bevor er sein kleines Handtuch ergriff und dem Waschraum zustrebte.
    Mamu schleuderte die Jacke, die er übers untere Bett geworfen hatte, frustriert in seine eigene Etage hinauf. »Ist das zu fassen? Dein Vater findet sich mit allem ab!«
    Ich sagte lieber nichts – dass Mamu Papa kritisierte, hieß keineswegs, dass ich mir solche Freiheiten ebenfalls herausnehmen durfte –, aber insgeheim musste ich ihr zustimmen: Papa gab in letzter Zeit eine Menge Anlass zu staunen. Im Gegensatz zu Deutschland schlief er hier tief und fest, im Gegensatz zu Mamu bekam er keine Bauchschmerzen vom Hirsebrei, im Gegensatz zu ihr kam er mit seiner ungewohnten neuen Tätigkeit besser zurecht, als wir alle drei von ihm erwartet hatten. An manchen Tagen machte er einen regelrecht fröhlichen Eindruck und riss sogar den einen oder anderen Bauarbeiterwitz, wie meine Mutter es nannte.
    »Er hat keinerlei Ehrgeiz mehr«, murmelte sie erschüttert.
    Mamus Laune besserte sich nicht, als die etwas litfasssäulenhafte Figur von Frau Friedmann mit festen Schritten auf uns zusteuerte, vorbei an den von Bett zu Bett hängenden Wäscheleinen, überm Arm zerknitterten karierten Stoff. Ich hielt den Atem an, ich wusste, was jetzt kam: »Frau Mangold, so geht das nicht, so kann ich das nicht abgeben!«
    Frau Friedmann war die Vorarbeiterin der Schneiderstube und sie gab sich mit Mamu alle Mühe, aber selbst ich konnte erkennen, was los war. »Die Säume sind bisserl scheener als gestern, aber haben Sie schon gesehen eine Mann mit solche schiefe Schultern?«
    Sie legte das beanstandete Hemd vor uns aufs Bett und versuchte es glattzustreichen, doch die Ärmel saßen so verquer, dass nicht einmal das funktionierte. »Den armen Mensch, dem das hier würde passen, gibt es hoffentlich nicht«, sagte Frau Friedmann streng.
    »Ich bin eben keine Schneiderin«, verteidigte sich Mamu mit roten Ohren.
    »Reißen Sie sich am Riemen!«, erwiderte Frau Friedmann, und mit einem Augenzwinkern in meine Richtung: »Immerhin: Heut ist es nur ein Hemd, das Sie müssen machen neu.«
    Nachdem Frau Friedmann gegangen war, versammelten sich mehrere Nachbarinnen um unser Bett und begutachteten mit verschränkten Armen das missratene Hemd. »Ich bin selbst überrascht«, bekannte Mamu beschämt.
    »Trotzdem«, versetzte Frau Silbermann. »So darf sie nicht mit Ihnen reden. Bis vor ein paar Jahren wäre sie nur durch den Hintereingang zu Ihnen reingekommen, das kann sie nicht vergessen haben.«
    Einige Frauen nickten zustimmend. »Das ist vorbei«, antwortete Mamu und behielt zu meinem Erstaunen für sich, dass wir in unserer Etagenwohnung gar keinen Hintereingang für Bedienstete gehabt hatten. »Hier sind wir alle gleich, Frau Silbermann.«
    »Verkehrte Welt«, sagte Frau Silbermann kopfschüttelnd. »Kommen Sie, Frau Mangold, gehen wir eine rauchen. Hier muss sowieso Ihr Mann

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