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Nanking Road

Nanking Road

Titel: Nanking Road Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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rennt, der fliegt die Nanking Road herunter und schlägt Haken um störende Fußgänger, langsame Rikschas, den hupenden Bus.
    Vier Briefe! Drei mit der Schrift von Tante Ruth auf dem Umschlag, einer von Bekka, mit Poststempel Berlin. Noch vor dem offenen Postfach riss ich ihn auf.
    »Liebe Ziska, meine Eltern sind im Glücksrausch«, las ich unter einem Datum von Mitte Januar. »Thomas hat einen Platz auf dem Kindertransport.«

11
    Herr Hu und seine Familie schienen sich aufrichtig zu freuen, als wir im März endlich einzogen. Als wir ihnen gegenüberstanden, kam es zu einem kurzen peinlichen Moment, da Mamu und ich völlig vergessen hatten zu fragen, wie wir sie begrüßen sollten – europäisch? chinesisch? –, aber zum Glück kannte Papa sich aus. Er verbeugte sich, worauf Herr Hu und Oma Hu dasselbe taten.
    Familie Hu bestand aus Vater, Oma und vier Kindern, die nach Größe aufgereiht nebeneinanderstanden und sich kichernd anstießen, während sie mich beguckten. Ich grinste freundlich zurück, entschlossen, bei unseren Hausbesitzern den bestmöglichen Eindruck zu machen. Gleichzeitig schoss mir durch den Kopf, wie dumm es war, dass ich mittlerweile zwar etwas Englisch verstand und die jüdische Hymne beherrschte, aber noch immer nicht wusste, wie man mit den Leuten umging, in deren Land wir lebten.
    Natürlich hatten meine Eltern und ich schon bei Chinesen eingekauft. Doch auf der Straße verständigte man sich in einem eigenartigen, misshandelten Englisch, das Pidgin genannt wurde und offenbar eigens für den Handel zwischen Menschen erfunden worden war, die im Alltag nichts miteinander zu tun hatten. Mein Lieblingswort aus einer mehrseitigen Liste, die wir im Büro der jüdischen Hilfsorganisation erhalten hatten und die Mamu bereits auswendig konnte, war »plopa«, das kam von »proper« und bedeutete »gut« oder »richtig«. »All plopa!« zeigte an, dass man einverstanden war. Aber konnte Pidgin weiterhelfen, wenn man mit einer chinesischen Familie unter einem Dach lebte? Es gab auf der Liste keinerlei Worte für Fragen über ihr Land, ihr Leben oder auch nur über das Wetter.
    Nach einigen Minuten des freundlichen Nickens und Lächelns zogen Hus sich in ihr Erdgeschoss zurück und ließen uns allein unsere wenigen Habseligkeiten auspacken und in den Schrank legen. Das war schnell erledigt. Es gab ein schmales französisches Doppelbett für meine Eltern und ein Klappbett für mich. Zwei Stühle, ein Schrank und eine Kommode, auf der die Waschschüssel stand, stammten wie die Betten von einem Trödler im französischen Sektor, und anstelle eines Tisches mussten wieder unsere Koffer herhalten, über die Mamu eine Decke gebreitet hatte.
    Das Zimmerchen nebenan würde nachts mein Schlafzimmer und tagsüber die Schneiderstube sein; dort gab es sogar schon einen leeren Kleiderständer für die zu erwartenden Aufträge. Mein Bett ließ sich ruckzuck zusammenklappen und an die Wand stellen, und zum Nähen brauchte Papa dann nur noch einen Stuhl aus dem Nebenzimmer zu holen.
    Einer Küche hatte sich Herr Hu verweigert. Offenbar glaubten Chinesen nicht an Feuerstellen innerhalb der Wohnung, und so gab es nur einen gemeinsamen Ofen im Hauseingang, dessen ungewohnte Handhabung uns die winzige Oma Hu wortreich demonstriert hatte. Kochen konnten wir allerdings noch nicht: Unser erster Auftrag an den Ofen würden Briketts sein, die man sich aus Kohlestaub selbst zusammenrührte, presste und buk.
    Am Abend kamen Konitzers mit Brot, Salz und einer Flasche Wein; sie hatten sogar daran gedacht, Gläser und ein paar Klappstühle mitzubringen, auf denen sie als unsere Gäste sitzen konnten. Das war klug und gut gemeint, unterstrich allerdings auch, dass der Unterschied zwischen uns nur noch größer geworden war.
    Anfang des Monats hatten sie uns in ihre eigene neue Wohnung in der Avenue Joffre im französischen Sektor eingeladen und wir hatten nur so gestaunt. Ein Bad mit Wanne und Wasserklosett! Eine Küche mit Spüle! Ein Wohn- und Esszimmer mit massivem Holztisch und einer Vitrine, in der das gerettete Porzellan aus Konitzers Lift ausgestellt war!
    »Nach Berliner Maßstäben«, sagte Tante Irma bescheiden, »sind unsere drei Zimmer ja fast zu klein, aber nach ein paar Monaten in China …«
    »… sieht man die Dinge mit anderen Augen«, fiel Mamu ein und gab sich große Mühe zu verbergen, dass sie unsere Situation wieder einmal mit der von Tante Irmas Familie verglich. Besorgt fragte ich mich, ob Konitzers schönes

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