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Naokos Laecheln

Naokos Laecheln

Titel: Naokos Laecheln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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kann er es nicht mit ihr treiben. Da sagt er sich eben, Sex ist ja nur Sex, und läßt sich von anderen befriedigen. Na und? Ist doch ganz in Ordnung. Er kann ja schließlich nicht ständig nur auf seiner Bude hocken und sich einen runterholen, oder?«
    »Aber wenn du sie wirklich liebst, Tōru, kannst du dich dann nicht zurückhalten?«
    »Na ja, ich könnte es versuchen«, sagte ich und schob mir ein Stück Flußbarsch mit Sahnesauce in den Mund.
    »Du verstehst nichts von den sexuellen Bedürfnissen eines Mannes«, sagte Nagasawa zu Hatsumi. »Nimm mich zum Beispiel. Ich bin seit drei Jahren mit dir zusammen und habe in der Zwischenzeit mit vielen anderen Mädchen geschlafen. Aber ich erinnere mich an nichts mehr, weder an ihre Namen noch an ihre Gesichter. Mit jeder habe ich nur einmal geschlafen. Ich habe sie angesprochen, mit ihnen geschlafen, sie nie wieder gesehen. Damit hatte es sich. Was soll daran falsch sein?«
    »Ich finde deine Arroganz unerträglich«, sagte Hatsumi ruhig. »Ob du nun mit anderen Frauen schläfst oder nicht, ist nicht das Problem. Habe ich dir deine Eskapaden mit anderen Frauen auch nur ein einziges Mal vorgeworfen?«
    »Das kann man ja nicht mal Eskapaden nennen. Es ist ein Spiel, bei dem niemand verletzt wird.«
    »Doch, mich verletzt es«, sagte Hatsumi. »Warum genüge ich dir nicht?« Nagasawa schwieg für einen Moment und spielte mit seinem Whiskeyglas. »Es liegt nicht daran, daß du mir nicht genügst. Es geht um etwas völlig anderes. Ich habe diesen unstillbaren Durst in mir. Wenn dich das verletzt, tut es mir leid. Aber es hat nichts damit zu tun, daß du mir nicht genug wärst. Ich bin ein Mann, der ohne dieses Verlangen nicht leben kann – es macht mich aus. Ich kann nichts dagegen tun.«
    Endlich griff Hatsumi nach Messer und Gabel und begann zu essen. »Wenigstens solltest du Tōru da nicht mit hineinziehen.«
    »Watanabe und ich, wir sind gar nicht so verschieden«, entgegnete Nagasawa. »Beide gehören wir zu den Menschen, die sich im Grunde nur für sich selbst interessieren. Na gut, der eine ist arrogant und der andere nicht, beide aber interessieren wir uns ausschließlich für unsere eigenen Gedanken, Gefühle und Handlungen. Deswegen können wir die Welt auch völlig unabhängig von allen anderen Menschen betrachten. Das mag ich an ihm. Leider hat er es selbst bis jetzt noch nicht begriffen, darum ist er noch zaghaft und leidet.«
    »Aber welcher Mensch ist denn nicht zaghaft und leidet nicht?« fragte Hatsumi. »Willst du etwa behaupten, daß du nie so empfunden hast?«
    »Natürlich kenne ich Empfindungen, nur habe ich mir durch Disziplin die Fähigkeit antrainiert, sie auf ein Minimum zu reduzieren. Sogar Ratten entscheiden sich für den am wenigsten schmerzhaften Weg, wenn man sie lang genug mit Elektroschocks traktiert.«
    »Aber Ratten verlieben sich nicht.«
    »Ratten verlieben sich nicht«, wiederholte Nagasawa und wandte sich mir zu. »Klasse! Da fehlt nur noch die musikalische Untermalung. Ein komplettes Orchester mit zwei Harfen…«
    »Mach dich nicht über mich lustig, ich meine es ernst.«
    »Wir sind beim Essen«, sagte Nagasawa, »und Watanabe sitzt bei uns. Die Höflichkeit sollte es uns gebieten, unsere sogenannten ernsten Gespräche zu verschieben.«
    »Ich kann auch gehen«, sagte ich.
    »Bleib bitte noch. Es ist besser, du bist dabei«, sagte Hatsumi.
    »Wenn du schon einmal da bist, bleib wenigstens bis zum Dessert.«
    Schweigend aßen wir weiter. Ich ließ von meinem Flußbarsch nichts übrig, während Hatsumi sich mit der Hälfte begnügte. Nagasawa hatte seine Ente längst verspeist und war beim x-ten Whiskey.
    »Der Flußbarsch war ausgezeichnet«, sagte ich probeweise, aber niemand antwortete mir. Als hätte ich einen winzigen Kiesel in einen abgrundtiefen Schacht geworfen.
    Nachdem die Kellner unsere Teller abgeräumt hatten, wurden Zitronensorbet und Espresso aufgetragen. Nagasawa ließ beides fast unberührt und zündete sich sofort eine Zigarette an. Auch Hatsumi ließ ihr Sorbet stehen. O Mann, dachte ich, während ich mich an Sorbet und Espresso gütlich tat. Hatsumi starrte auf ihre Hände auf dem Tisch; wie alles an ihr waren sie von erlesener Eleganz. Ich dachte an Naoko und Reiko. Was sie wohl gerade taten? Vielleicht lag Naoko auf dem Sofa und las, während Reiko auf der Gitarre Norwegian Wood spielte. Auf einmal sehnte ich mich heftig danach, wieder bei ihnen in ihrer kleinen Wohnung zu sein. Was hatte ich überhaupt hier

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