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Naokos Laecheln

Naokos Laecheln

Titel: Naokos Laecheln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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auf.
    »Komm, wir gehen was essen. Ich hab einen Mordshunger«, sagte sie.
    »Wohin?«
    »Ins Restaurant vom Kaufhaus Takashimaya in Nihonbashi.«
    »Warum gerade dorthin?«
    »Ab und zu gehe ich eben gern dorthin.«
    Also nahmen wir die U-Bahn nach Nihonbashi. Das Kaufhaus war praktisch leer, was vielleicht daran lag, daß es den ganzen Vormittag geregnet hatte. Es roch nach Nässe, und die Verkäuferinnen hatten sichtlich nicht viel zu tun. Das Restaurant befand sich im Untergeschoß. Nachdem wir die Plastikauslagen in Augenschein genommen hatten, entschieden wir uns für ein traditionelles Mittagsmenü. Trotz der Mittagszeit war es überhaupt nicht voll.
    »Es muß ewig her sein, seit ich in einem Kaufhausrestaurant gegessen habe«, sagte ich und trank meinen grünen Tee aus einer dieser blanken weißen Teeschalen, wie man sie nur in Kaufhausrestaurants findet.
    »Mir gefällt so was«, sagte Midori. »Man hat das Gefühl, etwas Außergewöhnliches zu tun. Vielleicht erinnert es mich an meine Kindheit. Weil meine Eltern mich ganz selten in ein Kaufhaus mitgenommen haben.«
    »Mir kommt’s so vor, als hätte ich die Hälfte meiner Kindheit in Kaufhäusern verbracht. Meine Mutter war ganz verrückt danach.«
    »Beneidenswert.«
    »Wieso? Ich mache mir nichts aus Kaufhäusern.«
    »Nein, so meine ich es nicht. Beneidenswert, daß sie sich so um dich gekümmert hat.«
    »Ich war ja auch ihr einziges Kind«, sagte ich.
    »Als ich klein war, habe ich mir immer ausgemalt, wie ich, wenn ich groß wäre, allein in ein Kaufhausrestaurant gehen und alles essen würde, was ich wollte«, erzählte Midori. »Was für ein Quatsch. Als ob es Spaß machen würde, sich hier ganz allein vollzustopfen. Das Essen schmeckt nicht besonders, der Raum ist zu groß und voll, und die Luft ist schlecht. Trotzdem komme ich ab und zu ganz gern her.«
    »Ich war in den letzten beiden Monaten sehr einsam.«
    »Ja, das hast du mir geschrieben«, sagte Midori mit ausdrucksloser Stimme. »Los, wir essen, an was anderes kann ich im Moment sowieso nicht denken.«
    Wir aßen alles auf, was unsere hübschen halbmondförmigen Lackkästen zu bieten hatten, tranken unsere Brühe und unseren grünen Tee. Midori rauchte. Als sie fertig war, stand sie auf, ohne einen Ton zu sagen, und nahm ihren Schirm. Also erhob ich mich auch und nahm meinen Schirm.
    »Wohin möchtest du jetzt?« fragte ich.
    »Nach einem Mittagessen im Kaufhausrestaurant geht man als nächstes auf die Dachterrasse.«
    Auf dem Dach war kein Mensch. Der Stand für Haustierbedarf war geschlossen, und auch die anderen Verkaufsstände hatten ihre Rolläden heruntergelassen. Sogar der Ticketschalter für die Kinderkarussells hatte dichtgemacht. Mit aufgespannten Schirmen schlenderten wir an triefenden Holzpferden, Gartenstühlen und Ständen vorbei. Erstaunlich, daß ein Ort mitten in Tōkyō so völlig menschenleer sein konnte. Midori wollte durch ein Teleskop sehen, also warf ich eine Münze ein und hielt ihren Schirm, während sie in den Himmel spähte.
    Auf einer Seite der Dachterrasse war ein überdachter Kinderspielplatz mit einer Reihe von Automaten. Midori und ich setzten uns nebeneinander auf eine Plattform und schauten zu, wie es regnete.
    »Also raus damit«, sagte Midori. »Ich weiß, daß Du mir etwas zu sagen hast.«
    »Ich versuche nicht, mich herauszureden, aber ich war an dem Tag damals unheimlich niedergeschlagen und benommen. Völlig benebelt. In meinem Kopf war für nichts mehr Platz«, erklärte ich. »Doch als ich dich nicht mehr sehen durfte, habe ich eins kapiert. Ich hatte die ganze Zeit davor überhaupt nur so einigermaßen überstanden, weil es dich gab. Als du fort warst, war ich grauenhaft einsam.«
    »Aber Tōru, kannst du dir nicht vorstellen, wie einsam ich in den letzten beiden Monaten ohne dich gewesen bin?«
    »Das hab ich nicht gewußt«, sagte ich verblüfft. »Ich dachte, du wärst sauer auf mich und wolltest mich nicht sehen.«
    »Wie kannst du nur so blöd sein? Natürlich hätte ich mich gern mit dir getroffen. Hab ich dir etwa nicht gesagt, daß ich dich mag? Und wenn ich jemanden mag, dann mag ich ihn sehr. Hast du das nicht gewußt?«
    »Doch, natürlich, aber…«
    »Deshalb war ich so sauer. Ich hätte dir am liebsten hundertmal eine reingehauen. Wir hatten uns ewig nicht gesehen, und du warst in Gedanken so mit diesem anderen Mädchen beschäftigt, daß du mich nicht mal angeguckt hast. Und da sollte ich nicht sauer werden? Außerdem hatte ich

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