Naokos Laecheln
nahm ein kaltes, fades Mittagessen zu mir. Anschließend setzte ich mich in die Sonne und sah dem Treiben auf dem Campus zu. Gleich neben mir standen für eine Weile zwei Studentinnen und unterhielten sich; die eine drückte ihren Tennisschläger so zärtlich an die Brust wie ein Baby, die andere hatte ein paar Bücher und eine Leonard-Bernstein-LP bei sich. Beide waren hübsch und genossen sichtlich ihr Gespräch. Aus dem Gebäude der Studentenvereinigung dröhnten die Versuche eines Anfängers auf der Baßgitarre. Überall standen Studenten in Grüppchen von vier oder fünf zusammen, tauschten ihre wie immer gearteten Meinungen aus und lachten. Auf dem Parkplatz fuhren ein paar Leute Skateboard. Ein Professor mit einer Ledermappe unter dem Arm ging über den Parkplatz und wich geschickt den Skateboardern aus. Auf dem Hof kniete eine Studentin mit Helm und pinselte große Zeichen auf ein Transparent, das den amerikanischen Imperialismus in Asien anprangerte. Eine ganz alltägliche Campus-Szene um die Mittagszeit. Doch als ich mit verstärkter Aufmerksamkeit hinsah, fiel mir auf, daß alle heiter wirkten. Ob sie es tatsächlich waren oder nur so aussahen, konnte ich natürlich nicht sagen, aber alle schienen an diesem schönen frühen Nachmittag Ende September glücklich zu sein. Plötzlich überkam mich ein Gefühl von Einsamkeit, das mir ganz neu war – als wäre ich der einzige, der nicht in die Szene paßte. Wann hatte ich eigentlich in den letzten Jahren überhaupt in eine Szene gepaßt, überlegte ich. Zum letzten Mal wohl in der Hafen-Kneipe am Hafen, wo Kizuki und ich zusammen Billard gespielt hatten. Am selben Abend war Kizuki gestorben, und seither trennte mich ein eisiger, lähmender Luftzug vom Rest der Welt. Was hatte die Existenz dieses Jungen namens Kizuki für mich bedeutet? Auf diese Frage fand ich keine Antwort. Aber eins wurde mir bewußt: Kizukis Tod hatte mir für immer einen Teil meiner Jugend geraubt. Doch was das bedeutete und was daraus folgen würde, ging weit über meinen Horizont hinaus.
Noch lange blieb ich sitzen und beobachtete die Menschen, die über den Campus schlenderten; nebenbei hoffte ich, Midori zu begegnen, aber an diesem Tag ließ sie sich nicht blicken. Als die Mittagspause zu Ende war, ging ich in die Bibliothek, um mich auf meinen Deutschkurs vorzubereiten.
Am Samstagnachmittag suchte mich Nagasawa in meinem Zimmer auf und fragte, ob wir am Abend nicht eine unserer Runden drehen sollten. Er würde mir schon eine Ausgangserlaubnis besorgen. Ich hatte nichts dagegen. Die ganze Woche über war ich so trüber Stimmung gewesen, daß ich bereit war, mit jeder Frau zu schlafen. Gegen Abend nahm ich ein Bad, rasierte mich, zog ein sauberes Polohemd an und darüber ein Baumwolljackett. Nagasawa und ich aßen in der Kantine zu Abend und fuhren dann mit dem Bus nach Shinjuku. In Shinjuku Sanchōme stiegen wir aus und schlenderten ein bißchen durch das Getümmel. Anschließend gingen wir in eine unserer Stammkneipen und warteten darauf, daß zwei Mädchen auftauchten. In diesem Lokal verkehrten sonst viele weibliche Gäste – nur an diesem Abend nicht. Wir blieben fast zwei Stunden und nippten nur an unseren Whiskey Sodas, um nicht zu schnell betrunken zu werden. Als sich endlich zwei vielversprechende Mädchen an die Bar setzten und einen Gimlet und eine Margarita bestellten, sprach Nagasawa sie sofort an, aber wie sich herausstellte, waren sie schon verabredet und warteten auf ihre Freunde. Immerhin plauderten wir ein bißchen mit ihnen, bis die Freunde kamen und die Mädchen sich ihnen anschlossen.
Nagasawa lotste mich in ein anderes Lokal. Es war eine kleine, etwas abseits gelegene Bar, in der die meisten Gäste schon angetrunken waren und einigen Lärm machten. An einem der hinteren Tische saßen drei Mädchen. Wir setzten uns zu ihnen und unterhielten uns eine Weile ganz angeregt zu fünft. Alle fühlten sich wohl. Doch als wir vorschlugen, das Lokal zu wechseln, um ein bißchen weiterzutrinken, sagten die Mädchen, sie müßten zurück in ihr Wohnheim, sonst würden sie ausgesperrt. Es war nicht gerade unser Glückstag. Danach probierten wir es noch in einer weiteren Bar, aber mit dem gleichen Ergebnis. Aus irgendeinem Grund standen an diesem Abend unsere Aktien schlecht.
Gegen halb zwölf verließ Nagasawa die Lust.
»Tut mir leid, daß ich dich umsonst durch die Gegend geschleift habe«, sagte er.
»Macht doch nichts. Dafür hatte ich das Vergnügen zu erleben, daß
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