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Naokos Laecheln

Naokos Laecheln

Titel: Naokos Laecheln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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meisten.« Sie zupfte an einem Stückchen Nagelhaut. »Aber ehrlich gesagt, für mich sind das ganz natürliche Gedanken. Im Ernst. Ich bin früher gar nicht darauf gekommen, daß sich mein Denken von dem anderer Leute unterscheiden könnte, und ich will auch gar nicht anders sein. Aber wenn ich offen davon spreche, glauben die Leute, ich will sie auf den Arm nehmen oder mich wichtig machen. Das kann manchmal sehr lästig sein.«
    »Und du möchtest im Feuer umkommen?«
    »Das hat damit nichts zu tun. Ich bin bloß neugierig.«
    »Darauf, wie es ist, wenn man verbrennt?«
    »Nein, ich wollte nur wissen, wie du reagierst. Ich hab an sich keine Angst vorm Sterben. Ehrlich nicht. Der Rauch macht einen bewußtlos, und dann stirbt man. Mehr nicht. Das macht mir überhaupt keine Angst, im Vergleich zum Tod meiner Mutter und einiger Verwandter von mir ist das gar nichts. Alle meine Verwandten scheinen an einer schlimmen Krankheit zu sterben und lange leiden zu müssen. Das liegt bei uns wohl im Blut. Das Sterben dauert unheimlich lange. Zum Schluß weiß keiner, ob der Mensch noch lebendig oder schon tot ist. Mehr als Leiden und Schmerzen sind vom Bewußtsein nicht übrig.«
    Midori steckte sich eine Marlboro an.
    »Vor so einem Tod fürchte ich mich. Ganz langsam breiten sich die Schatten des Todes über das Leben aus, und ehe du dich versiehst, ist alles stockfinster, und du kannst nichts mehr sehen. Für die Leute um dich herum zählst du schon zu den Toten. Das könnte ich nicht ertragen.«
    Nach einer weiteren halben Stunde war das Feuer endlich gelöscht. Anscheinend hatte es sich nicht ausgebreitet, und niemand war verletzt worden. Von den Löschwagen blieb nur einer zurück, und die Schaulustigen zerstreuten sich unter aufgeregtem Geschnatter in der Einkaufsstraße. Auch ein Streifenwagen mit eingeschaltetem Blaulicht blieb, um den Verkehr zu regeln. Zwei Krähen hatten sich nahebei auf Strommasten niedergelassen und beobachteten interessiert das Geschehen unter ihnen.
    Als der Brand gelöscht war, war anscheinend auch Midori erschöpft. Matt starrte sie in den Himmel und bekam kaum noch den Mund auf.
    »Müde?« fragte ich.
    »Eigentlich nicht. Ich entspanne mich nur. Habe ich schon lange nicht gemacht.«
    Ich sah Midori in die Augen, und Midori sah mir in die Augen. Dann legte ich die Arme um sie und küßte sie. Midori zuckte ein klein wenig zusammen, entspannte sich aber gleich und schloß die Augen. Für einige Sekunden lagen unsere Lippen ganz sacht aufeinander. In der frühherbstlichen Sonne warfen Midoris Wimpern feine, leicht zitternde Schatten auf ihre Wangen.
    Es war ein zarter, freundlicher Kuß, nicht dazu bestimmt, irgendwohin zu führen. Hätten wir an diesem Nachmittag nicht auf der Wäscheterrasse gesessen, Bier getrunken und den Brand beobachtet, hätte ich Midori wahrscheinlich an diesem Tag nicht geküßt. Ich glaube, sie empfand das auch, aber nachdem wir so lange die glänzenden Dächer, den Rauch und die Libellen beobachtet hatten, war eine Wärme und Nähe zwischen uns entstanden, die wir wohl unbewußt in irgendeiner Form festzuhalten versuchten. Das sprach aus unserem Kuß. Aber wie alle Küsse war er nicht ohne ein Moment von Gefahr.
    Midori sprach als erste wieder. Dabei ergriff sie meine Hand. Es fiel ihr merklich schwer, aber sie sagte mir, daß es da schon jemanden gebe. Das hätte ich mir schon gedacht, entgegnete ich.
    »Hast du ein Mädchen, das du magst?«
    »Ja«, sagte ich.
    »Und trotzdem hast du sonntags immer Zeit?«
    »Es ist alles ziemlich kompliziert.«
    Auf einmal war die Magie dieses frühherbstlichen Nachmittags erloschen.
    Um fünf verließ ich Midoris Haus, um zur Arbeit zu gehen. Ich hatte vorgeschlagen, noch irgendwo etwas zusammen zu essen, aber sie konnte wegen des Anrufs, den sie erwartete, nicht fort.
    »Du machst dir keine Vorstellung, wie ich es verabscheue, den ganzen Tag zu Hause auf einen Anruf zu warten. Wenn ich allein bin, habe ich das Gefühl, als würde mein Körper Stückchen für Stückchen verfaulen und allmählich schmelzen, bis nur noch eine grüne Pfütze übrig ist, die im Boden versickert. Am Ende liegen nur noch meine Kleider da.«
    »Wenn du wieder mal auf einen Anruf warten mußt, leiste ich dir gern Gesellschaft«, sagte ich. »Beim Mittagessen auch.«
    »Toll, und ich sorge für ein nettes Feuer zum Nachtisch«, sagte sie.
    Am nächsten Tag erschien Midori nicht zu Theatergeschichte II. Nach der Vorlesung ging ich allein in die Mensa und

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