Naokos Laecheln
Bedienung.
»Pepe.«
»Hallo, Pepe«, sagte ich, aber der Hund rührte sich nicht.
»Er ist schwerhörig«, erklärte das Mädchen. »Sie müssen lauter rufen, damit er es hört.«
»Pepe!« brüllte ich. Sofort öffnete Pepe die Augen und sprang mit einem Bellen auf.
»Braver Hund, ist ja schon gut. Leg dich wieder schlafen und genieß deinen Ruhestand«, beruhigte ihn das Mädchen, worauf Pepe sich wieder zu meinen Füßen niederplumpsen ließ.
Reiko und Naoko bestellten kalte Milch und ich ein Bier. Reiko bat das Mädchen, das Radio einzuschalten, und Spinning Wheel von Blood, Sweat and Tears ertönte.
»Eigentlich komme ich hierher, um Radio zu hören«, sagte Reiko zufrieden. »Sonst würden wir ja überhaupt nichts mehr von der Welt mitkriegen.«
»Wohnen Sie hier?« fragte ich das Mädchen.
»Nie und nimmer«, entgegnete sie. »Wenn ich hier übernachten müßte, würde ich vor Einsamkeit sterben. Abends fährt mich der Bauer in die Stadt und morgens komme ich wieder mit rauf.« Sie zeigte auf einen Laster mit Vierradantrieb, der ein Stückchen entfernt vor dem Büro des Weidebesitzers stand.
»Sie machen doch auch bald Ferien, nicht?« fragte Reiko.
»Ja, wir machen demnächst zu.«
Reiko bot ihr eine Zigarette an, und die beiden rauchten einträchtig.
»Sie werden uns fehlen«, sagte Reiko.
»Im Mai bin ich wieder hier«, sagte das Mädchen munter.
Im Radio ertönte White Room von Cream und nach der Werbung Scarborough Fair von Simon and Garfunkel, ein Stück, das Reiko besonders gut fand.
»Ich hab den Film gesehen«, erzählte ich.
»Wer spielt denn darin mit?«
»Dustin Hoffman.«
»Kenne ich nicht«, sagte sie und schüttelte traurig den Kopf. »Die Welt verändert sich wie verrückt, und ich kriege nichts davon mit.«
Sie fragte die Bedienung, ob sie ihr eine Gitarre leihen könne. Klar, sagte das Mädchen, stellte das Radio ab und brachte aus dem Haus eine alte Gitarre. Der Hund hob den Kopf und schnupperte daran. »Das ist nichts zu fressen«, sagte Reiko mit gespielter Strenge. Der Wind wehte den Duft von Heu zu uns heran. Vor uns zeichneten sich klar die Kämme der Berge ab.
»Wie in einer Szene aus der Trapp-Familie«, sagte ich zu Reiko, als sie die Gitarre stimmte.
»Was ist denn das?« fragte sie.
Sie suchte nach dem Anfangsakkord von Scarborough Fair. Da sie das Lied zum ersten Mal und ohne Noten spielte, gab es ein paar mißglückte Versuche, bis sie die richtigen Akkorde fand und die Melodie flüssig spielen konnte. Beim dritten Mal hatte sie es raus und konnte sogar noch ein paar Schnörkel einbauen. »Ein gutes Gehör.« Reiko zwinkerte mir zu und zeigte mit dem Finger auf ihr Ohr. »Ich kann so gut wie jede Melodie spielen, die ich dreimal gehört habe.«
Sie spielte eine vollständige Version von Scarborough Fair und summte dazu mit. Wir drei applaudierten, und Reiko verneigte sich artig.
»Wenn ich früher ein Mozart-Konzert gegeben habe, bekam ich mehr Applaus.«
Als die Bedienung sich Here Comes the Sun von den Beatles wünschte und versprach, Reiko dafür die Milch zu spendieren, wies Reiko zum Einverständnis mit dem Daumen nach oben. Sie hatte keine besonders volle Stimme, vielleicht war sie auch vom Rauchen etwas heiser, aber sie sang dennoch so ausdrucksvoll und lebendig, daß mir beim Zuhören war, als ginge die Sonne noch einmal auf. Es war ein warmes und behagliches Gefühl.
Anschließend gab Reiko dem Mädchen die Gitarre zurück und bat sie, das Radio wieder einzuschalten. Sie schlug vor, daß Naoko und ich für ein Stündchen allein die Umgebung erkundeten.
»Ich möchte noch ein bißchen Radio hören und mit ihr plaudern. Es reicht, wenn ihr um drei wieder hier seid.«
»Dürfen wir denn so lange allein sein?« fragte ich.
»Eigentlich nicht, aber was soll’s. Ich bin schließlich kein Anstandswauwau und will auch mal für mich sein. Außerdem kommen Sie ja auch nicht jeden Tag her und haben bestimmt einiges mit Naoko zu besprechen, oder?« Reiko steckte sich eine neue Zigarette an.
»Gehen wir.« Naoko stand auf.
Ich sprang auf und ging ihr nach. Der Hund wachte auf und folgte uns, gab jedoch bald auf und trollte sich zum Haus zurück, während wir einen ebenen Weg am Zaun entlangschlenderten. Hin und wieder griff Naoko nach meiner Hand oder schob ihren Arm unter meinen.
»Fast wie in alten Zeiten«, sagte sie.
»Das war nicht in alten Zeiten, sondern in diesem Frühjahr. Wenn das die alten Zeiten waren, dann hatten wir vor zehn Jahren
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