Naomi & Ely - die Freundschaft, die Liebe und alles dazwischen
Eigentümerversammlung zu ihr gehalten hat; die Bewohner des 14. Stockwerks, die alle übereinstimmend der Meinung sind, dass Naomi und ihre Mom weniger Lärm machen als Ely und seine Mütter; und ich. Aber ich bin ein variabler Koeffizient, weil ich nur zu dieser Seite halte, um meinen Bruder vor Naomi zu beschützen. Mal wieder. Auf der rechten Seite zählen zur Ely-Anhängerschaft: die FELS-Mitglieder (Freunde und Familien von Lesben und Schwulen) aus unterschiedlichen Stockwerken; der andere Bruce, der für einen Gap-Klamotten tragenden Typen überraschend viel Mut zeigt, indem er heute Abend hier aufkreuzt (das hätte ich nicht erwartet); sämtliche männlichen Bewohner unseres Apartmenthauses, die im Aufzug schon mal begehrliche Blicke auf Naomi geworfen haben und bei ihr abgeblitzt sind (warum nur musste mein Bruder die einzige Ausnahme sein? O weh, ihr Götter!); und die Lesbische Liga von Mary und Susan und ihren Genossinnen mit den sündhaft teuren Einheitsfrisuren.
Ich habe ein Monster geschaffen. Ich habe die Bingo-Abende in unserem Gebäude nur deshalb organisiert, weil ich für die Schule ein Gemeinschaftsdienst-Projekt nachweisen musste. Ich dachte, es würden vielleicht zehn Mieter kommen, alle über siebzig, wir würden uns vielleicht fünf mal treffen, und danach würde die Sache im Sand verlaufen, ich würde meine Note bekommen, und das wär’s dann. Aber neeeeiiiin! Alle, alle wollten Bingo spielen - im Haus, im Block, im Viertel. Diese Variable hatte ich nicht einkalkuliert und jetzt ist das Ganze etwas außer Kontrolle geraten. Bingo ist plötzlich hip! Was ist eigentlich mit Billard als dem coolen Lieblingsspiel der New York Hipsters geworden? Hey, Leute, ich versuche bloß, nach Harvard zu kommen - ich will keine Revolution anzetteln!
Unsere Lichtgestalt, die uns durch die Finsternis der Winternächte geleitet, sie, die für immer unbesiegt bleiben wird, unsere heilige Bingo-Ausruferin ist Mrs Loy, die sich wirklich nur um Bingo kümmert und überhaupt nicht um das Naomi-Ely-Bruce1-Bruce2-Quadrat. Mrs Loy kümmert sich höchstens noch um ihren Hund und meinen Bruder, der ihren Hund eher wie seine Schwester behandelt als seine richtige Schwester, die zufälligerweise ich bin. Irgendwann vor langer Zeit, im vergangenen Jahrhundert und lang bevor sie den alten Wie-war-noch-mal-sein-Name heiratete und nach Manhattan zog, hatte Mrs Loy in England mal am »Caller of the Year«-Wettbewerb teilgenommen, was eine richtig große Sache ist, wo es einen Geldpreis zu gewinnen gibt und der beste Bingo-Ausrufer nach Las Vegas reisen darf, um dort die Zahlen auszurufen. Außerdem wird er zum »Bingo-Botschafter Großbritanniens« ernannt. Mrs Loy hat damals nicht gewonnen und scheint jetzt überglücklich zu sein, dass sie so viele Jahre später die »Bingo-Botschafterin« hier bei uns in unserem Apartmenthaus sein darf.
»Dirty Gertie!«, ruft sie. Der einzige Weg, um die rasant anwachsende Teilnehmerzahl an unserem Bingo-Spiel zu begrenzen, war die Einführung der britischen Bezeichnungen. Hoch lebe der U.K.-Housie-Slang!
»Welche Zahl ist Dirty Gertie?«, fragt mich Bruce mein Zwillingsbruder. 35 Prozent beim Mathe-Einstufungstest. Seine Strategie war es, bei jeder vierten Frage als Antwort alle Multiple-Choice-Kästchen anzukreuzen. Der Junge sollte endlich mal wieder genug Schlaf bekommen. Sonst nimmt ihn höchstens noch eine Uni, die so weit im Hinterland liegt, dass dafür Kanada nicht mehr reicht.
Ich streiche die 30 auf seiner Karte durch. Ich muss wirklich alles für ihn tun. Ich bin ja auch fünf Minuten älter. Immer fällt alles auf mich.
Mrs Loy entdeckt mich in der Menge, und ich weiß genau, welche Zahl sie als Nächstes aufrufen wird. Ich streiche die 1 auf meiner Karte durch, noch bevor sie ruft: »Kelly’s Eye!«
Die nächste Ansage lautet »Two Fat Ladies!«, und wenn ich die Zahl 88 auf meiner Karte hätte, dann würde ich jetzt ganz laut »Bingo!« brüllen. Ich vermeide es, zu direkt das Pärchen aus der Doppelbock trinkenden Susan und ihrer Bloody Mary anzustarren, denn das wäre zu offensichtlich. Die beiden sind nicht wirklich fett, sie wirken nur... körperlich total entspannt, nicht so heterosexuell ausgezehrt wie die meisten anderen Mütter in unserem Apartmenthaus, zum Beispiel meine Mom oder Naomis Mom. Ich bin froh, dass sie ihre Krise ausgestanden haben und hiergeblieben sind - auch wenn meine Eltern bei der Eigentümerversammlung gegen Elys Mütter gestimmt haben,
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