Naomi & Ely - die Freundschaft, die Liebe und alles dazwischen
muss gehen«, sage ich. Ich lasse genug Zeit für sie, um zu sagen: »Bleib doch noch.« Genug Zeit, um zu sagen: »Es ist hart.« Oder: »Es ist idiotisch.« Oder: »Es ist notwendig.« Ich lasse ihr genug Zeit, um aufzustehen und mir einen Kuss auf die Wange zu geben. Oder mir zu sagen, ich soll die Tüte mit den Wachsmalkreiden aufmachen, damit wir die leeren Becher auf unserem Tisch bemalen können. Oder mir zu sagen, dass das alles ein Irrtum ist.
Aber sie sagt nichts. Nicht einmal »Bis bald«.
Und weil sie nichts gibt, gebe ich auch nichts zurück.
Hart, idiotisch, notwendig.
Bruce der Erste
GLEICHFALLS
Heute ist der erste Tag vom Rest meines Lebens. Heute ist der erste Tag vom Rest meines Lebens.
Wenn der Jongleur, der die Touristenmeute im Washington Square Park unterhält, nur einen einzigen Augenblick stillhalten würde, hätte ich durch mein Fernglas einen besseren Blick auf die Bank, auf der Naomi sitzt, und auf die Leute, die mit ihr auf dieser Bank sitzen. Ich weiß bereits, wo Naomi ihr Leben ohne mich weiterleben wird; wenn ich auch noch wüsste, mit wem, hätte ich die abschließende Sicherheit, die ich brauche, um mit dem Rest meines Lebens anzufangen.
Morgen. Vielleicht sollte ich bis morgen warten, um den ersten Tag vom Rest meines Lebens einzuläuten.
Die Schachspieler in der Nähe werden allmählich kribbelig - sie wollen meinen Tisch. Aber Zuckertörtchen hält ein Nickerchen auf dem Spieltisch, an dem ich sitze. Sie schlummert selig in der Sonne. Ich würde es nie wagen, sie von ihrem Platz zu verscheuchen. Einen friedlichen Schlaf stören? - Ich doch nicht! Ich beneide sie darum. Ich beneide auch Mrs Loy um ihren Schlaf. Sie sitzt ein paar Meter entfernt auf einer Bank, ihren Stock fest umklammernd, das Kinn auf die Brust gesunken.
»Du taugst nicht besonders als Spanner.«
Die Stimme kommt von hinten. Ich drehe mich um. Oh nein, bitte nicht.
Ich lege mein Fernglas auf Mrs Loys Handtasche ab, die ich auf meinen Knien in Sicherheitsverwahrung habe, solange sie auf der Bank ein Schläfchen hält. Er zögert einen Augenblick - wenigstens das! -, als wüsste er, dass es angebrachter wäre, wenn er so täte, als hätten wir einander nicht bemerkt. Wenn er nur ein bisschen Anstand oder was auch immer hätte, dann würde er begreifen, dass es für uns beide besser wäre, uns keine einzige quälende Sekunde länger anstarren zu müssen. Dann würde er einfach weitergehen.
Aber oh nein. Er setzt sich mir gegenüber an den Tisch.
Warum hasst mich das Universum?
»Was tust du hier?«, frage ich Bruce den Zweiten. Ich stelle die Schachfiguren in Reih und Glied auf. Eröffnungsposition. Soll er sich wenigstens nützlich machen, denke ich.
»Ich hatte gerade da drüben einen Kurs.« Er deutet auf ein Unigebäude am Rand des Parks, auf Naomis Seite. Seine Hand legt sich um einen Bauern. »Ich kann keinen Eröffnungszug machen, wenn du den da nicht wegnimmst.« Er deutet auf den schlafenden Chihuahua.
»Zuckertörtchen ist ein Mädchen.«
Kein Respekt vor einem gesunden Schlaf. Er greift nach Zuckertörtchen, schiebt seine Hand unter ihren Bauch und hebt sie hoch. »Nichts, womit man groß angeben könnte«, sagt er. »Aber wenn du ein bisschen sorgfältiger abtasten würdest, könntest du merken, dass sie ein Junge ist.«
Ich überprüfe das. Bruce der Zweite hat keine Witze gerissen, als er behauptet hat, dass das männliche Zuckertörtchen sich da nicht gerade mit Ruhm bekleckern kann.
Der Hund hat außerdem ein Verräterherz. Zuckertörtchen macht es sich auf dem Schoß von Bruce dem Zweiten bequem, um weiterzuschlummern.
Ich rücke mit meinem Turm vor. Wenn wir schon bei geschlechtlichen und anderen sexuellen Schwankungen sind, kann ich auch gleich weitermachen. »Du siehst nicht schwul aus«, teile ich Bruce dem Zweiten mit. Stoffhosen und ein Lacoste-Shirt? Also bitte.
»Wie soll schwul denn aussehen?«
»Nicht wie du.«
»Danke für die Blumen.«
»Was für Musik magst du?«
»Warum hab ich bloß das Gefühl, dass das gerade ein Schwulentest ist?«
»Vielleicht weil es einer ist.«
»Okay, dann hab ich darauf keine echte Antwort. Ich mag alle möglichen Arten von Musik. Ich bin kein Musik-Freak wie Ely. Ich mag eher klassische Sachen. Oder die Beatles.«
Bei diesem Bruce ist vielleicht nicht jede Hoffnung verloren, denn er bemerkt mein enttäuschtes Gesicht und fügt hinzu: »Und ein paar Songs von Madonna vielleicht auch.«
»Na wenigstens.« Hab ich recht gehört?
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