Napoleon Bonaparte. Biographie.
näher auf sich zufluten sah, seine Armeen vermehrt und aufs neue Verbindungen mit Großbritannien angeknüpft. Das ganze Jahr 1811 verstrich mit fruchtlosen Unterhandlungen, die nach der Art, wie sie scheiterten, den neuen Ausbruch eines Krieges immer wahrscheinlicher machten. Daher begannen beide Teile zu rüsten, noch ehe er erklärt war. Preußen stellte nach dem Vertrag vom 24. Februar Napoleon 20+000 und Österreich nach dem vom 14. März 30+000 Mann. Italien und der Rheinbund trugen zu dem geplanten Unternehmen 25+000 und 80+000 Streiter bei. Endlich schied ein Senatsbeschluß die Nationalgarde für den inneren Dienst in drei Banne: davon stellte der erste zum aktiven Dienst bestimmte außer der Riesenarmee, die an den Niemen rückte, 100 Kohorten von je 1000 Mann zur Verfügung des Kaisers.
Am 9. März reiste Napoleon von Paris ab, indem er den Herzog von Bassano beauftragte, dem Gesandten des Zaren, Fürsten Kurakin, seine Pässe so lange als möglich vorzuenthalten. Dieser Befehl, der dem Anschein nach eine Friedenshoffnung übrigließ, hatte tatsächlich keinen andern Zweck, als Alexander über die wahren Gesinnungen seines Feindes so lange wie möglich in Ungewißheit zu lassen, damit dieser unversehens über die russische Armee herfallen und ihn überrumpeln könne. Napoleon hatte gewöhnlich diese Taktik verfolgt, die ihm, wie immer, so auch diesmal gelang. Daher begnügte sich der Moniteur anzuzeigen, daß der Kaiser Paris verlasse, um die große, an der Weichsel Vereinigte Armee zu besichtigen, und daß ihn die Kaiserin bis Dresden zum Zweck eines Besuchs bei ihrer erlauchten Familie begleiten würde.
Nachdem er dort vierzehn Tage verweilt und Talma und Fräulein Mars, wie er ihnen in Paris versprochen, vor einem Parterre von Königen hatte spielen lassen, verließ Napoleon Dresden und langte am 2. Juni in Thorn an. Am 22. verkündete er seine Rückkehr nach Polen durch folgenden Tagesbefehl aus dem Hauptquartier von Wilkowski:
»Soldaten, Rußland hat Frankreich ein ewiges Bündnis und England Krieg geschworen: es bricht heute seinen Eid und will keine Erklärung seines befremdenden Verhaltens geben, bevor nicht die französischen Adler über den Rhein zurückgegangen und damit unsere Verbündeten seiner Willkür überantwortet wären. So meint es denn, wir seien entartet? Sollten wir nicht mehr die Soldaten von Austerlitz sein? Es stellt uns die Wahl zwischen Schande und Krieg, und diese kann nicht zweifelhaft sein. Vorwärts! Laßt uns den Niemen überschreiten, tragen wir den Krieg auf Rußlands Boden! Die französische Armee wird dort Ruhm ernten. Der Friede, den wir schließen werden, soll dem unheilvollen Einflusse ein Ziel setzen, den das moskowitische Kabinett seit einem halben Jahrhundert auf die Angelegenheiten Europas ausübt.«
Die Armee, an die Napoleon diese Worte richtete, war die schönste, die zahlreichste und zugleich die stärkste, die er je befehligt hatte. Sie war in 15 Korps geteilt, jedes von einem Herzog, Fürsten oder Könige geführt, und bildete eine Masse von 400+000 Mann Infanterie, 70+000 Mann Kavallerie und von 1000 Feuerschlünden. Der Gesamtbestand der großen Armee belief sich mit Einschluß der 50+000 Österreicher und Preußen auf 650+000 Mann.
Drei Tage waren zum Übergang über den Niemen erforderlich: man wählte dazu den 23., 24. und 25. Juni.
Napoleon stand einen Augenblick still, gedankenvoll und unbeweglich auf dem linken Ufer dieses Flusses, wo ihm Kaiser Alexander drei Jahre vorher ewige Freundschaft geschworen hatte. Dann sagte er hinüberschreitend: »Das Verhängnis zieht die Russen hinab; mögen die Lose in Erfüllung gehen!«
Mit Riesenschritten begann er, wie immer, seinen Lauf; nach zweitägigem, wohl berechnetem Marsche war die völlig ahnungslose russische Armee auseinander gesprengt und ein ganzes Armeekorps von ihr abgetrennt. Die Teilung des russischen Heeres entsprach dem Feldzugsplan der russischen Armeeleitung. A. d. Ü.
Da ließ Alexander, der an den furchtbaren und entscheidenden Schlägen aufs neue die Gefährlichkeit dieses Gegners erkannte, diesem sagen, er sei zu Unterhandlungen bereit, wenn er das von seinen Truppen überschwemmte Gebiet räumen und an den Niemen zurückgehen wolle. Napoleon fand diesen Schritt so befremdend, daß er darauf nur mit seinem am andern Tag erfolgenden Einzug in Wilna antwortete. Hier blieb er 20 Tage, errichtete eine vorläufige Regierung, während
Weitere Kostenlose Bücher