Napoleon Bonaparte. Biographie.
aneinander und hüteten sich ängstlich vor jeder Trennung in der Masse. Wehe dem, der seine Abteilung verloren hatte: nirgends fand er einen Menschen, der sich im geringsten um ihn gekümmert und ihm irgendwie Beistand geleistet hätte. Überall wurde er mißhandelt und verfolgt: erbarmungslos verjagte man ihn von allen Feuern, auf die er kein Recht hatte, von allen Orten, wo er Zuflucht suchte. Und diese Hetze hörte nicht auf, bis es ihm gelungen war, die seinigen wiederzufinden. Napoleon sah mit eigenen Augen diese wahrhaft unglaubliche Masse von Flüchtlingen und zuchtlosen Menschen.
Man stelle sich, soweit dies möglich ist, 100+000 Unglückliche vor, die Schultern mit einem Quersack beladen und auf lange Stäbe gestützt, aufs absonderlichste mit Lumpen behangen, von Ungeziefer wimmelnd und allen Schrecknissen des Hungers preisgegeben. Man denke sich zu diesem Menschenhaufen, schon an sich einem Beweise des gräßlichsten Elends, noch die von so vielen Leiden zeugenden Gesichter hinzu: man vergegenwärtige sich diese blassen, von dem Kot der Biwaks bedeckten, von Rauch geschwärzten Menschengestalten mit hohlen erloschenen Augen, verworrenen Haaren, langem und stinkendem Bart: und doch wird man nur einen schwachen Schattenriß des Bildes haben, das die Armee darbietet.
Wir krochen mühsam, uns selber überlassen, in der Schneewüste auf kaum bemerkbaren Wegen durch Steppen hindurch und unendliche Fichtenwälder.
Hier unterlagen Unglückliche, an denen Krankheit und Hunger schon lange gezehrt, der Last ihrer Leiden und verendeten unter Folterqualen, eine Beute der grimmigsten Verzweiflung. Dort warf man sich mit Wut über den her, bei dem man Lebensmittel vermutete, und entriß sie ihm trotz seinem hartnäckigsten Widerstand und seinen gräßlichen Flüchen.
An einer Stelle hörte man das Geräusch der von den Pferden unter die Füße getretenen oder von den Wagenrädern zerquetschten Leichname, an einer andern das Schreien und Stöhnen der Opfer, denen die Kraft ausgegangen war, und die, auf dem Wege liegend und mit letzter Anstrengung gegen diesen entsetzlichen Tod ankämpfend, in Erwartung des Sterbens doppelt starben.
Dort wieder schlugen sich um das Aas eines Pferdes gierige Gruppen bei der Verteilung der Fetzen. Während die einen die äußeren fleischigen Teile abschnitten, gruben sich die andern bis zum Gürtel in die Eingeweide ein, um Herz und Leber herauszureißen.
Auf allen Seiten Unheil verkündende, entsetzte, durch Frostbeulen verstümmelte Gesichter! Mit einem Wort, überall Bestürzung, Schrecken, Hunger und Tod!
Um den Andrang dieser entsetzlichen Leiden, die auf unserem Haupte lasteten, auszuhalten, mußte man mit einer kraftvollen Seele und einem unerschütterlichen Mute ausgerüstet sein. Die unerläßliche Bedingung war, daß die moralische Kraft im selben Maße wuchs wie die Gefährlichkeit der Umstände. Sich durch den Anblick der beklagenswerten Szenen, deren Zeuge man war, angreifen lassen, hieß sich selbst verurteilen: man mußte sein Herz jedem Gefühl des Mitleids verschließen. Wer glücklich genug war, in seinem Innern eine hinlängliche Widerstandskraft gegen so viele Übel zu finden, der entwickelte die kälteste Fühllosigkeit und die unzerstörbarste Festigkeit.
Man sah solche Männer mitten unter dem Grausen, das sie umgab, ruhig und unerschrocken alle Wechsel ihrer Lage ertragen, alle Gefahren verachten und durch den ununterbrochenen Anblick des Todes, der sich ihnen unter den abscheulichsten Gestalten aufwies, sich daran gewöhnen, ihm ohne Schaudern wahrhaft ins Auge zu schauen.
Taub gegen die Schmerzensrufe, die von allen Seiten in ihr Ohr tönten, wendeten sie sich, wenn solch ein Unglücklicher neben ihnen zusammensank, kalt ab und setzten ohne die geringste Gemütsbewegung ihren Weg fort.
So blieben diese unglücklichen Opfer verlassen auf den Schneemassen; solange sie die Kraft hatten, hielten sie sich aufrecht, dann sanken sie allmählich zurück, ohne von irgendeinem menschlichen Wesen ein Trosteswort zu hören, ohne daß jemand die Pflicht gefühlt hätte, ihnen auch nur den geringsten Beistand zu leisten. Unaufhörlich marschierten wir mit großen Schlitten, stumm, zu Boden starrend, vorwärts und machten nur mit sinkender Nacht halt.
Von Ermattung und Hunger überwältigt, hatten wir auch dann noch keine Ruhe. Es galt, unter allen Umständen, wenn auch keine Wohnung, so doch wenigstens
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