Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Narcopolis

Narcopolis

Titel: Narcopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeet Thayil
Vom Netzwerk:
regulären Preis verdoppeln, wenn nicht gar verdreifachen. In zwei Monaten, vermutlich noch schneller, hätte sich ihre Investition amortisiert, und von da an würde sie nur noch Profit machen. Die Tai lachte nicht länger, oder sie lachte so leise, dass Dimple sie nicht mehr hören konnte. Wahrscheinlicher aber war, dass sie aufmerksam zuhörte, um später die ganze Geschichte dem Seth zu wiederholen, dem Besitzer des Bordells und aller Randis. Dimple hatte sich hingelegt, nahm so wenig Platz wie nur möglich ein und versuchte, nicht einzuschlafen, doch war es spät, und sie war müde.
    •••
    Sie befand sich in einem Flur, der sich wie eine gewundene Landstraße vor ihr erstreckte.
Licht kam einzig von dünnen blauen Streifen unter den Türen, an denen sie vorüberging. Links war eine Wand, rechts waren Türen, eine endlose Abfolge, unter jeder schimmerte ein blauer Streifen. Manchmal hörte sie Stimmen, meist aber nur ein plätscherndes Geräusch oder das Wogen großer Wassermengen, und ohne dass es ihr gesagt werden musste, wusste sie, dass sie weitergehen sollte, dass es ein Fehler wäre stehenzubleiben und nachzusehen, was hinter den Türen war, die in unregelmäßigen Abständen aufeinanderfolgten, aber alle dieselbe Form und dieselben Maße hatten. Es macht doch nichts, hörte sie sich sagen, schlimmer kann es nicht werden. Alle, die mich geliebt haben, sind gestorben, und ich bin auch tot. Bei diesem Gedanken überkam sie eine solch unerträgliche Trauer, dass sie stehenblieb und willkürlich eine der Türen öffnete. Der Raum war riesig und wurde zur Gänze von einem mit blauem Wasser gefüllten Pool eingenommen. Sie wusste, dass das Wasser sehr kalt sein musste, da sich an den Fliesen keine Kondenstropfen zeigten; außerdem war die Luft eisig. Um den Pool zog sich ein Sims, nur war er zu schmal, um darauf laufen zu können. Die Wände waren so hoch, dass die Decke unsichtbar blieb. Am gegenüberliegenden Ende erkannte sie eine Gestalt, die am Rand des Pools saß, die Füße im Wasser. Sie konnte das Gesicht nicht erkennen, sah aber das brennende Ende einer Zigarette, die der Mann rauchte, und meinte, Nelkentabak riechen zu können. Daraufhin schloss sie die Tür und ging weiter; die eigenen Schritte klangen ihr seltsam in den Ohren. Schritt um Schritt, dachte sie, verliere ich mich. Dann öffnete sie eine Tür zu einem identisch aussehenden Raum mit einem Pool, in dem erst kürzlich jemand geschwommen war. Ein dünner Nebelschleier hing über dem Wasser, in dem sie vereinzelt Algen ausmachen konnte. Es war kalt, und irgendwer lachte, doch als sie die Dunkelheit am anderen Ende des Raumes zu durchdringen versuchte, war niemand zu sehen. Dann fielen ihr Gestalten im Wasser auf, und sie trat näher heran, um genauer hinzusehen. Dicke, runde Gestalten mit langen Schwänzen ruhten am Grunde des Pools, und noch während sie hinsah, löste sich eine aus der Menge und schoss zu ihr auf. Sie wich einen Schritt zurück, als der Kopf eines alten Mannes das Wasser durchbrach.
    Mr Lee?, fragte sie.
    •••
    Und sie wachte an der Seite von Xavier auf, der immer noch schlief, badete, zog sich an, frühstückte und war mittags bei Rashid. Als Xavier gegen zwei Uhr kam, war Dimples Platz besetzt, weshalb er zu Pagal Kutta ging. Er tat, als kenne er Dimple nicht, rauchte eine Pyali, aß in der Khana zu Mittag und ging dann, um sich den Bart stutzen und das Haar schneiden zu lassen. Der Barbier machte ihn auf ein Hamam aufmerksam, einige Kabinen am Straßenrand, wo man ihm ein Stück Seife gab, einen Eimer mit lauwarmem Wasser und ein dünnes Baumwollhandtuch. Das Bad kostete vierzig Paisa; danach fühlte er sich trotz der dreckigen Kleider sauber, jedenfalls gut genug, um einen kleinen Spaziergang zu wagen. Er nahm sich vor, in einem der Läden an der Grant Road ein T-Shirt und eine Hose zu kaufen, weshalb er am Ende der Shuklaji Street rechts abbog. Als er am Delhi Darbar vorbeikam, roch es nach Essen, und er dachte nicht länger an Kleider: Er brauchte einen Drink. Im Schaufenster sah er das Spiegelbild eines heruntergekommenen Mannes in einer dreckigen Kurta und geriet ins Stolpern. Er sah Töpfe mit Biryani, sah Fliegen und Pferdedung. Ihm kam ein Mann mit einem Doppelkreuz entgegen, auf dem Plastiksonnenbrillen und Haarspangen in der ungefähren Form eines Kruzifixes angeordnet waren. Er sah einen Mann in einem Auto vorbeirasen, die Fenster hochgekurbelt, hinten ein kleines Mädchen, das seine Stirn an die

Weitere Kostenlose Bücher