Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Narcopolis

Narcopolis

Titel: Narcopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeet Thayil
Vom Netzwerk:
chinesische Führer typischen Gebrechen – an der Illusion, die wichtigste Lebensform des Universums zu sein, weshalb ihre Anstrengungen und Idiosynkrasien nicht allein das Nacheifern lohnen, sondern auch jegliche Anerkennung verdienen.« Der Admiral verfasst aber auch ebenso feige wie banale Lobgedichte:
    Wellen gehen hoch, Stürme toben, Wogentäler sind tief;
    Den Tod im Auge stürzen tapfere Männer davon,
    beten zur Göttin. Wer wird sie schützen?
    Wer, wenn nicht der kühne Herrscher, der große Ming?
    Der Erzähler des dritten Teils ist Zheng Hes Großneffe, ein Junge namens Soporo Onar, der sich aufmacht, den letzten Ruheplatz seines berühmten Verwandten aufzuspüren. Die Suche bleibt erfolglos, und über weite Strecken berichtet dieser Teil nicht über Zheng Hes frühe, triumphale Reisen, sondern über die verzweifelte letzte Fahrt. Sie endet mit seinem Tod in Indien, der Bestattung auf See und Soporos Entscheidung, ihm auf den Seiten dieses Buches ein Denkmal zu errichten. Wo genau in Indien ist Zheng He gestorben? Irgendwo entlang der Westküste, vermutlich an einer Stelle, die vom heutigen Bombay nicht allzu weit entfernt liegt, sagte Lee zu Dimple, was wiederum meinen Entschluss beeinflusst haben dürfte, hier zu leben. Dann sagte er, ich wünschte, es existierte eine Übersetzung vom Buch meines Vaters, denn falls es jemanden gibt, dem die Lektüre über das Leben des Eunuchenadmirals zugutekäme, dann dich.

5 »Zünd mir eine Zigarette an«
    Achtunddreißig Jahre sei er alt gewesen, erzählte er Dimple, als sich sein Leben auf unvorhersehbare Weise änderte. In jenem Jahr saß er bei einem offiziellen Festessen in Peking neben einer schlanken Frau, die sich das Haar im neuen Stil frisiert hatte. Sie trug ein pflaumenfarbenes Kostüm mit weißen Kragenaufschlägen und begleitete einen Marinekommissar, der ständig filterlose, ausländische Zigaretten rauchte. Schon früh am Abend ging der Kommissar zu Brandy über und wurde bald recht still, für einen derart schwergewichtigen Mann aber auch verblüffend behänd. Er trug den Kellnern auf, die Teekanne sowie die Wein- und Wassergläser nachzufüllen, und sprach wenig, wenn er nicht gerade Befehle gab; mit den übrigen Gästen redete er kein Wort. Dann rutschte er mit dem Ellbogen vom Tisch und vergoss den Wein der schlanken Frau. Ein dunkler Fleck breitete sich auf dem Tischtuch aus; und der Kommissar schaute so fasziniert zu, als wäre der Fleck der Kommunismus selbst, der sich über die Welt verbreitete und sie blutrot färbte. Die Frau – eine junge Frau, kaum älter als zwanzig oder einundzwanzig – griff nach dem Glas und stellte es wieder neben ihren unberührten Teller. Sie schenkte sich etwas Wein nach und nahm einen Schluck. Dann bat sie Lee, ihr mit dem Kommissar zu helfen. Sie brachten den Mann auf ein Zimmer über dem Festsaal, wo ihn die junge Frau auf ein Bett legte und ihm die Schuhe auszog. Er schlief bereits. Während die junge Frau den Mann auf dem Bett musterte, strich sie sich ihr Kostüm glatt, seufzte übertrieben stark, stemmte die Hände in die Hüften und sah Lee dabei nicht an. Sie sagte: Tai Zong, der erste Ming, stellte eine Liste kapitaler Vergehen für Regierungsbeamte zusammen, auf der Fehltritte wie Cliquenbildung und Schmeicheleien standen. Trunkenheit in der Öffentlichkeit galt ebenfalls als Kapitalverbrechen. Und die Strafe? Dem Beamten wurde die Haut abgezogen, die man mit Stroh ausstopfte und in einem Regierungsgebäude zur Warnung an andere Beamte aufstellte. Sie seufzte erneut auf etwas theatralische Art, was sich gut angefühlt haben musste, da sie es gleich noch einmal tat. Sie sagte: Wenn Sie mich schon so anstarren, können Sie mir auch gleich eine Zigarette anzünden. Lee tat wie geheißen. Sie stand mitten im Raum und blies den Rauch zur Decke empor. Er dachte: Sogar ihr Schweigen ist vielsagend, selbst ihre Art zu inhalieren und den Rauch wieder auszuatmen. Wie ausdrucksstark sie wirkt. Ob sie eine Schauspielerin ist? Wäre es zu verwegen, ihr eine Frage zu stellen? Doch ehe er noch ein Wort sagen konnte, ging sie zurück in den Festsaal, um einige Zeit später vom Tisch aufzustehen, zu gehen und nicht wiederzukommen. Einige Tage darauf sah er sie, wie sie ihr Fahrrad auf den Hof des Kommissariats schob. Sie hatte das Haar zu einem Knoten hochgebunden, trug Arbeiterkluft und sah ganz anders aus als die junge Frau mit der Zigarette, deren Bild sich ihm eingebrannt hatte. Er ging zu ihr und platzte

Weitere Kostenlose Bücher