Narcopolis
gleich damit heraus, dass er ihr etwas mitgebracht habe. Sie schien so verwirrt, dass er sich fragte, ob sie ihn überhaupt wiedererkannte. Er gab ihr eine Stange Zigaretten, ein halbes gekochtes Huhn und einige Stücke Zuckerrohr. Sie blickte über den Hof und zögerte einen Moment, ehe sie die Geschenke in eine Einkaufstüte am Fahrradlenker steckte. Dann sagte sie: Ich bin dreiundzwanzig Jahre alt und nicht daran interessiert, als Mätresse ausgehalten zu werden. Danke für die Geschenke, setzte sie noch hinzu und sagte dies so ernst, dass er sich fragte, ob er sie irgendwie verärgert haben könnte. Er sah ihr nach, wie sie das Rad zum Kommissariat schob. Gab sie ihm zu verstehen, dass er sie in Ruhe lassen sollte? Glaubte sie, er wolle sie für Sex bezahlen? Bei dem Gedanken zog sich ihm vor Angst der Magen zusammen. Dann fragte er sich, ob sie ihm nicht etwas gänzlich anderes mitgeteilt hatte. Seine Mätresse wollte sie nicht sein: Sie wollte seine Frau sein. Der Gedanke machte ihm ebensolche Angst. Sie gehörte zum Schlag der klassischen chinesischen Heldin, der prototypischen Anführerin, und sie wollte seine Frau sein. Dies zu glauben fiel ihm schwer. Er musste mit irgendwem darüber reden, mit einem Vorgesetzten, dessen Rat er vertrauen konnte. Am nächsten Morgen ging er unausgeschlafen zum regionalen Verwaltungsgouverneur Wei Kuo-ching, seinem Chef. Wei war nicht allein, weshalb Lee in Anwesenheit einiger Kollegen seines Chefs um die Erlaubnis bat, heiraten zu dürfen. Wie heißt die Frau?, fragte sein Chef. Lee wusste es nicht. Er beschrieb sie und wie sie sich kennengelernt hatten. Ach, sagte der Verwaltungsgouverneur, Sie meinen Pang Mei, die Assistentin von Kommissar Hu. Der ältere Mann klopfte Lee auf die Schulter und sagte, er solle ruhig, wenn es denn das sei, was er sich wünsche. Dann fügte er noch hinzu: Ich hoffe, Sie wissen, dass für einen solch drastischen Schritt keinerlei Notwendigkeit besteht.
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Lees Quartier kam nicht in Frage. Da waren meist zu viele Leute, und wenn man Pang Mei sähe, wie sie aus seinem Zimmer kam, gäbe es Ärger, möglicherweise auch eine offizielle Untersuchung, gefolgt von Demütigungen, einer Bestrafung, gar Gefängnis. Allein sein konnten sie nur, wenn Pang Mei in sein Büro kam, spät abends, wenn niemand mehr da war. Nervös wartete er, bis sie auftauchte, und führte sie ins Vorratslager, wo er hinter einem Schreibtisch Decken und ein Kissen zurechtgelegt hatte. Er verschloss die Tür, löschte das Licht, und sie umklammerten sich im Dunkeln, die schlanke Gestalt der jungen Frau in seinen Armen leicht wie die eines Kindes. Von einer Straßenlaterne fiel unzureichend Licht ins Zimmer, gerade genug, um ihr Gesicht sehen zu können. Sie wirkte sehr ernst, was ihn nur noch nervöser machte. Als sie nach seinem Schwanz griff, zuckte er zusammen, und als sie ihn in den Mund nahm, wimmerte er, er wimmerte tatsächlich, und dann schämte er sich. Sie holte eine Tube aus ihrer Handtasche und rieb sich mit ein wenig Creme ein, eine rasche, geschickte Bewegung. In den Arsch, sagte sie. Fick mich in den Arsch. Dann setzte sie sich auf ihn, lenkte ihn, ritt ihn und spielte dabei mit ihrer Klitoris. Er kam auf der Stelle und schämte sich erneut. Später, als sie neben ihm lag, sagte sie: Eine reine Vorsichtsmaßnahme. Falls wir erwischt werden, beweist die medizinische Untersuchung, dass ich noch Jungfrau bin. Dann drehte sich Pang Mei auf die Seite, rollte sich zusammen und schlief ein. Lee nahm sich vor, sie eine halbe Stunde lang schlafen zu lassen, sie dann zu wecken, aufzuräumen und das Gebäude zu verlassen. Falls er auch einschliefe, hätte das katastrophale Folgen. Er stützte sich auf einen Ellbogen auf und schaute sie an. Er dachte an die Sommerüberschwemmungen des Gelben Flusses und an die gedämpften Teigtaschen, die er manchmal am Bahnhof kaufte. Er dachte an die Pferde der Mongolei, an die Eroberung Russlands durch die Tartaren und an die weisen, einsamen Drachen, die in der warmen Luft über den Bergen von Sichuan hausten. Stumm bewegten sich die Lippen der jungen Frau im Schlaf, und er sah, wie sich ihre Augen unter den Lidern bewegten. Gerade, als er erneut an die melancholischen Drachen von Sichuan dachte, durchfuhr ein Beben den Raum. Die Luft schien sich umzuschichten, die Temperatur schlagartig zu sinken, und es fehlte an Sauerstoff. Ein Geräusch wie von Wellen oder Mücken drang an sein Ohr. Der Boden bebte, als wäre ein großes Tier
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