Narkosemord
Wieder schwang er sich todesmutig hinüber, aber als er auf dem Pflaster auf der anderen Seite landete, knickte sein rechter Fuß um. Ein stechender Schmerz schoß durch sein Bein.
Jeffrey biß die Zähne zusammen und spurtete ungeachtet seines schmerzenden Knöchels die Pinckney Street hinauf. Hinter sich hörte er, wie einer der Männer dem anderen etwas zubrüllte. Sekunden später hallten ihre Schritte durch die Pinckney Street. Jeffrey passierte die West Cedar Street und rannte zur Charles Street weiter. In seiner Verzweiflung rannte er mitten auf die Fahrbahn und versuchte mit wild rudernden Armen einen der vorbeifahrenden Wagen zum Anhalten zu bewegen. Aber keiner hielt.
Die Schritte seiner Verfolger waren jetzt wieder dicht hinter ihm. Jeffrey raste über die Charles Street und folgte ihr bis zur Kreuzung Brimmer Street, wo er nach links abbog. Er rannte weiter bis zum Ende des Blocks. Der schnellere der beiden Männer machte immer mehr Boden gut und saß ihm bereits dicht im Nacken.
Verzweifelt schlug Jeffrey einen Haken und stürmte zum Eingang der Church of the Advent, in der Hoffnung, irgendwo im Innern der Kirche eine Stelle zu finden, wo er sich verstecken konnte. Er erreichte das schwere Tor am Ende des gotischen Bogengangs, drückte die Klinke herunter und rüttelte verzweifelt. Das Tor war verschlossen. In dem Moment, als er sich wieder zur Straße umwandte, tauchte einer der Männer auf - der mit der Waffe. Einen Moment später kam der andere herangehastet, ziemlich aus der Puste. Es war der, den Jeffrey von der Hatch Shell her kannte. Sie bewegten sich langsam auf ihn zu.
Jeffrey wandte sich wieder zur Kirchentür um und trommelte frustriert dagegen. Dann spürte er den kalten Lauf einer Pistole an seiner Schläfe. Er hörte, wie der abgehetztere der beiden sagte: »Auf Wiedersehen, Doktor!«
Kelly schlug mit der Hand auf das Armaturenbrett. »Das kann doch nicht wahr sein!« sagte sie laut. Was trieb er bloß so lange da oben? Zum hundertstenmal schaute sie zu Hardings Fenster hinauf. Noch immer war nichts von Jeffrey zu sehen.
Sie stieg aus, lehnte sich gegen den Wagen und überlegte, was sie machen konnte. Sie konnte hupen, aber es widerstrebte ihr, ihn aufzuschrecken, bloß weil sie besorgt war und ein komisches Gefühl hatte. Daß er so lange brauchte, schien darauf hinzudeuten, daß er irgend etwas Wichtiges gefunden hatte. Sie war drauf und dran, selbst hinaufzugehen, aber sie befürchtete, daß Jeffrey, wenn er sie an der Tür klopfen hörte, einen solchen Schreck bekommen würde, daß er die Flucht ergreifen würde.
Kelly war mit ihrer Weisheit am Ende, als der schwarze Lincoln zurückkehrte. Keine zehn Minuten vorher hatte Kelly gesehen, wie einer der Männer kam und mit dem Auto davonfuhr. Aber er war die Straße heraufgekommen, nicht aus Hardings Haus. Kelly sah zu, wie er wieder an der gleichen Stelle in zweiter Reihe anhielt, an der er schon zuvor geparkt hatte. Dann stiegen dieselben beiden Männer aus und gingen erneut in Hardings Haus.
Kelly stutzte. Die Sache kam ihr immer seltsamer vor. Sie schlenderte hinüber zu dem Lincoln, um ihn sich einmal aus der Nähe anzuschauen. Sie steckte die Hände in die Taschen, in der Hoffnung, so eher den Eindruck einer zufällig vorbeikommenden Passantin zu erwecken, falls die Männer plötzlich wieder auftauchen sollten. Als sie auf gleicher Höhe mit dem Lincoln war, blickte sie die Straße hinauf und hinunter, so, als schäme sie sich ein wenig ihrer Neugier. Der Wagen hatte ein Funktelefon, sah jedoch ansonsten normal aus. Sie beugte sich hinunter und spähte in den Fond des Wagens.
Hastig richtete sich Kelly wieder auf. Auf dem Rücksitz lag jemand und schlief! Sie beugte sich vorsichtig vor und schaute noch einmal hinein. Es war ein Mann. Einer seiner Arme lag unnatürlich verdreht hinter dem Rücken. Mein Gott, dachte Kelly, das ist ja Jeffrey!
In heller Aufregung rüttelte sie an der Tür. Sie war abgeschlossen. Sie rannte um den Wagen herum und probierte es an den anderen Türen. Sie waren alle verriegelt. Verzweifelt hielt sie nach irgend etwas Schwerem Ausschau, einem Stein oder dergleichen. Sie fand einen lockeren Pflasterstein im Bürgersteig und ruckelte ihn heraus. Dann rannte sie zurück zu dem Lincoln und schlug mit dem Stein gegen das hintere Seitenfenster. Sie mußte mehrmals mit aller Kraft zuschlagen, bis die Scheibe endlich in tausend winzige Glaskörner zerbröselte. Sie langte hinein und entriegelte die
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