Narkosemord
Dabei nahm sie die Kurve ein wenig zu schnell, rumpelte mit dem Vorderrad über den Bürgersteig und stieß mit dem Kotflügel eine Mülltonne um. Kelly jagte die steil ansteigende Straße hinauf. Oben bremste sie kurz und hart und fuhr nach links in die schmale Myrtle Street. Ein Blick in den Rückspiegel zeigte ihr, daß ihr Plan bereits aufzugehen schien. Der Lincoln war zurückgefallen. Er war einfach zu groß, um die scharfe Kurve so schnell nehmen zu können wie sie.
Da sie vor ihrer Heirat mehrere Jahre in Beacon Hill gewohnt hatte, kannte sie sich in dem Labyrinth aus engen Einbahnstraßen gut aus. Kurz entschlossen bog sie nach rechts gegen die Fahrtrichtung in eine Einbahnstraße, die Joy Street, und raste, ein Stoßgebet zum Himmel sendend, das kurze Stück bis zur Mount Vernon Street hinauf. Sie hatte Glück, es kam kein Gegenverkehr. An der Mount Vernon Street bog sie erneut nach rechts ab und raste Richtung Charles Street. Ihr Plan war, über den Louisburg Square zu donnern und dann gegen die Fahrtrichtung die Pinckney Street hinaufzufahren. Aber am Louisburg Square angekommen, sah sie, daß beide Fahrbahnen momentan blockiert waren, eine von einem Taxi, die andere von einem Auto, aus dem gerade jemand stieg.
Sie überlegte es sich blitzschnell anders und entschloß sich, auf der Mount Vernon Street zu bleiben. Doch die Pause hatte sie Zeit gekostet. Im Rückspiegel tauchte schon wieder der schwarze Lincoln auf. Als sie nach vorn schaute, erkannte sie, daß sie es nicht mehr bei Grün über die Charles Street schaffen würde. Kurz entschlossen bog sie nach links in die West Cedar Street.
Nach einem erneuten Schwenk nach rechts auf die Chestnut Street beschleunigte sie den Wagen wieder. Obwohl die Ampel vorn an der Charles Street auf Gelb umsprang, blieb sie auf dem Gas. Als sie auf die Kreuzung schoß, sah sie von rechts ein Taxi kommen. Der Fahrer war offenbar schon bei Gelb losgefahren. Kelly trat auf die Bremse und riß das Steuer nach links herum, so daß der Wagen erneut ins Schleudern geriet. Auf diese Weise entging sie einer direkten Kollision. Das Taxi streifte sie lediglich an der rechten Seite. Sie würgte bei dem Manöver nicht einmal den Motor ab.
Kelly trat sofort wieder aufs Gas, obwohl sie im Rückspiegel sah, wie der Fahrer aus dem Wagen sprang und drohend die Faust schüttelte und ihr etwas hinterherbrüllte. Sie fuhr weiter die Chestnut Street hinunter und bog nach links in die Brimmer Street. Beim Abbiegen warf sie einen raschen Blick zurück. Der Lincoln umkurvte gerade das Taxi, das noch immer mitten auf der Kreuzung stand.
Kelly fühlte, wie Panik in ihr hochstieg. Ihr Plan, den Lincoln abzuschütteln, funktionierte nicht so, wie sie sich das erhofft hatte. Der Lincoln blieb hartnäckig an ihr dran. Der Fahrer schien sich in Beacon Hill auszukennen.
Ihr wurde klar, daß sie sich irgend etwas einfallen lassen mußte. Sie bog nach links in die Byron Street, dann sofort wieder nach links in die Einfahrt zum Parkhaus in der Brimmer Street. Ohne anzuhalten, fuhr sie an der gläsernen Kabine des Wärters vorbei, zog den Wagen scharf nach rechts und fuhr direkt auf einen Autoaufzug.
Die beiden Wärter, die verblüfft dagestanden und zugeschaut hatten, wie sie an ihnen vorbeipreschte, kamen zu dem Aufzug gerannt. Bevor sie etwas sagen konnten, schrie Kelly: »Ich werde von einem Mann in einem schwarzen Lincoln verfolgt! Sie müssen mir helfen! Er will mich umbringen!«
Die beiden Wärter starrten einander verdutzt an. Einer zog die Augenbrauen hoch, der andere zuckte mit den Schultern und trat vom Aufzug herunter. Der, der stehengeblieben war, langte nach oben und zog an der Kordel. Die Aufzugtüren schlossen sich wie die Kiefer eines riesigen Mauls, und der Aufzug setzte sich mit einem Ächzen in Bewegung.
Der Wärter kam zurück und beugte sich zu Kellys Fenster herunter. »Wieso will Sie jemand töten?« fragte er mit ungläubiger Miene.
»Sie würden es nicht glauben, wenn ich es Ihnen erzählen würde«, sagte Kelly. »Was ist mit Ihrem Freund? Wird er den Mann aufhalten, wenn er ins Parkhaus will?«
»Ich denke, ja«, sagte der Wärter. »Es kommt doch nicht jeden Abend vor, daß wir einer Lady das Leben retten müssen.«
Kelly schloß erleichtert die Augen und lehnte die Stirn gegen das Lenkrad.
»Was ist mit dem Mann, der vor dem Rücksitz liegt?« fragte der Wärter.
Kelly machte die Augen nicht auf. »Betrunken«, sagte sie nur. »Zu viele Margaritas.«
Als
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