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Narkosemord

Titel: Narkosemord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Cook
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unten.«
    »Versprochen?«
    »Ich versprech’s dir.«
    Als Carol gegangen und die Tür wieder verschlossen war, nahm Jeffrey die Viertelliter-Infusionsflaschen herunter und verstaute sie in seiner ledernen Arzttasche hinten im Wandschrank. Die Verpackung der Infusionsbestecke und die Kanüle warf er im Bad in den Mülleimer.
    Carol hatte wirklich ein Gefühl für Timing, dachte er wehmütig. Erst als er das medizinische Besteck wegräumte, wurde ihm klar, wie nah er davor gewesen war. Er durfte vor der Verzweiflung nicht kapitulieren, sagte er sich - zumindest nicht, solange nicht alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft waren. Bis zu dieser letzten Wende der Ereignisse hatte Jeffrey noch nie ernsthafte Selbstmordgedanken gehegt. Die Selbstmorde, von denen er wußte, hatten ihn immer ehrlich verblüfft, wenngleich er intellektuell nachvollziehen konnte, welch tiefe Verzweiflung den Anlaß dazu geboten haben mochte.
    Seltsamerweise - vielleicht war es auch gar nicht so seltsam - waren die einzigen Selbstmörder, die er bisher gekannt hatte, Ärzte gewesen, die durch Motive, die große Ähnlichkeit mit den seinen hatten, an den Rand des Abgrunds gedrängt worden waren. Vor allem an einen Freund konnte er sich erinnern: an Chris Everson. Er wußte nicht mehr genau, wann Chris gestorben war, aber es war in den letzten zwei Jahren geschehen.
    Chris war ein Anästhesiekollege gewesen. Vor Jahren hatten sie zusammen auf einer Station gearbeitet. Chris hätte sich an die Zeiten erinnert, als die wilden jungen Ärzte ihre Grippesymptome mit Infusionslösung bekämpft hatten. Was die Erinnerung an Chris plötzlich so schmerzhaft werden ließ, war der Umstand, daß man ihn wegen eines Kunstfehlers verklagt hatte, weil einer seiner Patienten bei einer Epiduralanästhesie auf ein Lokalanästhetikum in furchtbarer Weise reagiert hatte.
    Jeffrey schloß die Augen und versuchte, sich an die Einzelheiten des Falles zu erinnern. Soweit er sich entsann, hatte der Patient einen Herzstillstand erlitten, als Chris die Testdosis von 2 ml injiziert hatte. Sie hatten das Herz zwar wieder in Gang bringen können, aber der Patient war vollständig gelähmt und verlangsamt geblieben. Innerhalb von einer Woche war Chris zusammen mit dem Valley Hospital sowie allen anderen, die auch nur im entferntesten mit dem Fall befaßt gewesen waren, verklagt worden. Auch hier wieder die »Schrotflinten«-Strategie.
    Aber Chris war nie vor Gericht gekommen. Er hatte Selbstmord begangen, noch ehe die Vorermittlungen abgeschlossen gewesen waren. Und obgleich die Anästhesie selbst für fehlerlos befunden wurde, fiel die Entscheidung schließlich zugunsten des Klägers. Seinerzeit enthielt der Vergleich, der dann geschlossen wurde, den höchsten Schadenersatz, der in der Geschichte von Massachusetts je für einen medizinischen Kunstfehler gezahlt worden war. In den Monaten darauf gab es, soweit Jeffrey sich erinnern konnte, mindestens zwei Fälle, in denen der Schadenersatz noch höher ausgefallen war.
    Er wußte noch genau, wie er reagiert hatte, als er von Chris’ Selbstmord gehört hatte. Er hatte es einfach nicht glauben können. Damals, bevor er selbst in die Mühlen des Justizsystems geraten war, hatte er nicht ahnen können, was Chris zu einer so furchtbaren Tat getrieben haben sollte. Chris galt als ausgezeichneter Anästhesist, als Arzt für Ärzte, als einer der Besten. Er hatte erst kurz zuvor eine bildhübsche OP-Schwester geheiratet, die im Valley Hospital arbeitete. Alles in seinem Leben schien gutzugehen. Und dann hatte der Alptraum zugeschlagen…
    Ein leises Klopfen riß Jeffrey zurück in die Gegenwart. Carol war wieder draußen.
    »Jeffrey!« rief sie. »Du solltest lieber kommen, bevor alles kalt wird.«
    »Ich bin schon unterwegs.«
    Jetzt, da er nur allzugut wußte, was Chris damals erst angefangen hatte durchzumachen, bereute er, daß er keinen Kontakt zu ihm gehalten hatte. Er hätte ihm ein besserer Freund sein können. Und auch als der Mann seinem Leben ein Ende gesetzt hatte, war Jeffrey nur auf der Beerdigung erschienen. Er hatte sich nie bei Kelly, Chris’ Witwe, gemeldet, obwohl er es noch auf der Beerdigung versprochen hatte.
    Ein solches Verhalten war sonst gar nicht seine Art, und er fragte sich, weshalb er so herzlos reagiert hatte. Die einzige Entschuldigung, die ihm einfiel, war sein Bedürfnis, das Ganze zu verdrängen. Der Selbstmord eines Kollegen, mit dem er sich so mühelos identifizieren konnte, war ein

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