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Narkosemord

Titel: Narkosemord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Cook
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konnte er nicht dafür sorgen, daß Doherty die Ampulle wirklich bekam. Die Chancen standen ungefähr eins zu zwanzig, wenn er nicht eigens wartete, bis Doherty für eine Epiduralanästhesie eingeteilt wurde. »Ach, was soll’s?« sagte Trent und winkte ab. Es würde schon unterhaltsam genug werden, egal, wer die Ampulle bekam.
     
    Der ungewohnte Flüchtlingsstatus verstärkte zwar Jeffreys Unschlüssigkeit und Ratlosigkeit, aber er verspürte nicht mehr die leiseste Neigung zum Selbstmord. Er wußte nicht, ob er sich mutig oder feige benahm, aber er würde sich nicht länger quälen. Trotzdem war er nach allem, was passiert war, verständlicherweise besorgt wegen der Möglichkeit einer neuen Runde von Depressionen. Er hielt es für besser, sich aller Versuchung zu entledigen; also nahm er die Morphiumampulle aus dem Koffer, öffnete sie und schüttete den Inhalt in die Toilette.
    Nachdem er so zumindest in einem Punkt eine Entscheidung getroffen hatte, war ihm ein bißchen eher zumute wie einem, der die Dinge im Griff hatte. Um dieses Gefühl noch zu verstärken, beschäftigte er sich damit, den Inhalt seines Aktenkoffers zu sortieren. Er stapelte das Geld sorgfältig zuunterst und bedeckte es mit seiner Unterwäsche. Dann schichtete er den Inhalt der akkordeonartigen Aktenfächer im Deckel um, so daß er Platz für Chris Eversons Notizen hatte. Er wandte sich den Aufzeichnungen zu und sortierte sie nach der Größe. Manche waren auf Chris’ Notizpapier geschrieben; am oberen Blattrand befand sich der Aufdruck Von Christopher Everson an… Andere standen auf gelbem Kanzleipapier.
    Jeffrey begann, fast ohne es zu wollen, die Notizen zu überfliegen. Er war dankbar für alles, was ihn von seiner augenblicklichen Lage ablenkte. Die Fallgeschichte des Patienten Henry Noble war bei der zweiten Lektüre besonders faszinierend. Wieder fielen ihm die Parallelen zwischen Chris’ unglückseligem Erlebnis und seinem eigenen mit Patty Owen ins Auge. Der Hauptunterschied bestand darin, daß es bei Patty spektakulärer und heftiger verlaufen war. Da in beiden Fällen Marcain verwendet worden war, konnte die Tatsache, daß die Symptome sich ähnelten, nicht überraschen. Außergewöhnlich war der Umstand, daß die anfänglichen Symptome in beiden Situationen anders waren, als man es bei einer unerwünschten Reaktion auf ein lokales Anästhetikum erwarten würde.
    Jeffrey praktizierte seit mehreren Jahren als Anästhesist, und die Symptome, die bei solchen Reaktionen auftreten konnten, waren ihm durchaus vertraut. Zu Schwierigkeiten kam es unweigerlich, wenn eine Überdosis in den Blutkreislauf gelangte, wo sie entweder auf das Herz oder auf das zentrale Nervensystem einwirken konnte. Im Falle des Nervensystems war es zumeist das zentrale oder das autonome System, das Probleme machte, entweder durch Stimulation oder durch Depression - oder durch eine Kombination von beidem.
    All dies umschloß eine Menge Möglichkeiten, aber bei allen Reaktionen, die Jeffrey studiert oder miterlebt hatte, war nichts wie bei Patty Owen gewesen; der extensive Speichel- und Tränenfluß, das plötzliche Schwitzen, der Leibschmerz und die zusammengezogenen Pupillen - das alles war ihm unbekannt. Manche dieser Symptome konnten wohl bei einer allergischen Reaktion auftreten, aber nicht bei einer Überdosis, und Jeffrey hatte allen Grund zu der Annahme, daß Patty Owen nicht allergisch gegen Marcain gewesen war.
    Nach seinen Notizen zu urteilen, hatte Chris Everson sich offensichtlich mit den gleichen Überlegungen geplagt. Chris hatte festgestellt, daß die Symptome bei Henry Noble eher muscarinischer als irgendeiner anderen Natur gewesen waren - von der Art also, die man erwarten konnte, wenn Teile des parasympathischen Nervensystems stimuliert wurden. Muscarinische Reaktionen hießen sie deshalb, weil sie spiegelbildliche Abbildungen der Wirkung einer Droge namens Muscarin waren - des Fliegenpilzgiftes nämlich. Aber eine Stimulation des Parasympathikus war bei einem Lokalanästhetikum wie Marcain nicht zu erwarten. Wenn aber nicht, woher kamen dann die muscarinischen Symptome? Es war rätselhaft.
    Jeffrey schloß die Augen. Das alles war sehr kompliziert, und wenn er auch die Grundlagen kannte, so hatte er doch die physiologischen Details nicht mehr alle taufrisch im Gedächtnis. Es war allerdings immer noch so viel, daß er wußte, daß der sympathische Bereich des autonomen Nervensystems derjenige war, auf den die Lokalanästhesie wirkte, nicht

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