Narkosemord
die Schulter.
Der Mann reagierte nicht.
»Ich dachte mir, Sie könnten vielleicht noch ein bißchen mehr brauchen«, fuhr Jeffrey fort. Er griff in die Tasche, schob das Hunderter-Bündel beiseite und zog etwas Kleingeld und ein paar kleine Scheine hervor. Die Münzen streckte er dem Mann entgegen. Der nahm sie.
»Danke, Kumpel«, sagte er und versuchte im Dunkeln zu erkennen, wieviel es war.
»Ich habe noch mehr. Genau gesagt, ich habe hier einen Fünfdollarschein, und ich wette, Sie sind so betrunken, daß Sie sich nicht mal an Ihre Sozialversicherungsnummer erinnern.«
»Was soll’n das heißen?« nuschelte der Mann und rappelte sich hoch. Zwei andere taten es ihm nach. Der Mann, für den Jeffrey sich interessierte, schwankte so, daß er umzufallen drohte, aber er fing sich doch wieder. Er war offenbar noch betrunkener als vorhin. »139-32-1560. Das ist meine Sozialversicherungsnummer. «
»Ja, klar.« Jeffrey winkte ab. »Die haben Sie gerade erfunden.«
»Einen Dreck hab’ ich!« Der Mann war empört. Mit einer ausladenden Gebärde, die ihn fast das Gleichgewicht gekostet hätte, griff er nach seiner Brieftasche. Wieder taumelte er, als er versuchte, die Brieftasche aus der Hose zu ziehen. Dann fummelte er zwar keinen Sozialversicherungsausweis, aber einen Führerschein heraus und ließ dabei die Brieftasche fallen. Jeffrey bückte sich, um sie aufzuheben.
»Gucken Sie ruhig!« meinte der Mann. »Wie ich Ihnen gesagt hab’!«
Jeffrey gab ihm die Brieftasche und nahm den Führerschein. Er sah keine Nummer, aber darum ging es nicht. »Also wirklich, ich glaube, Sie haben recht«, sagte er, nachdem er ihn scheinbar studiert hatte. Er reichte den Fünfer hinüber, und der Mann griff gierig danach. Aber einer der anderen riß ihm den Geldschein aus der Hand.
»Gib das wieder her!« schrie der Mann.
Ein weiterer hatte sich inzwischen hinter Jeffrey geschlichen. Jeffrey griff in die Tasche und holte noch mehr Münzen heraus. »Es ist genug für alle da«, sagte er und warf das Kleingeld auf den Boden, daß es auf den zerbrochenen Backsteinen klimperte. In großer Hast fielen alle außer Jeffrey im Dunkeln auf Hände und Knie. Jeffrey nutzte diese Ablenkung, um auf dem Absatz kehrtzumachen und über das schuttübersäte Grundstück zur Straße zu flüchten, so schnell er konnte.
In seinem Hotelzimmer lehnte er den Führerschein auf dem Rand des Waschbeckens gegen die Wand und verglich sein Spiegelbild mit dem Foto. Die Nase war völlig anders. Das war nicht zu ändern. Doch wenn er sich das Haar dunkel färbte und es mit einem Gel glatt nach hinten kämmte, wie er es vorhatte, und wenn er dann noch eine schwarzgeränderte Brille aufsetzte, dann würde es vielleicht gehen. Aber zumindest hatte er jetzt eine gültige Sozialversicherungsnummer und einen echten Namen samt Adresse: Frank Amendola, 1617 Sparrow Lane, Framingham, Massachusetts.
6
Mittwoch, 17. Mai 1989, 6 Uhr 15
Trent Hardings Dienst begann erst um sieben, aber schon um Viertel nach sechs stand er im Umkleideraum der Chirurgie im St. Joseph’s Hospital und zog seine Straßenkleidung aus. Er konnte die Waschbecken sehen und auch sich selbst im Spiegel darüber. Er spannte Arm- und Halsmuskeln an, daß sie sich wölbten, und beugte sich leicht vor, um ihre Konturen zu bewundern.
Trent ging mindestens viermal in der Woche in seinen Fitneß-Club und arbeitete bis zur Erschöpfung an der Nautilus-Maschine. Sein Körper war wie eine Skulptur; die Leute sahen und bewunderten ihn, dessen war er sicher. Aber zufrieden war er noch nicht. Er fand, sein Bizeps könne noch ein wenig Power vertragen. Auch seine Oberschenkelmuskeln mußten noch straffer werden. Er nahm sich vor, sich in den kommenden Wochen auf beides zu konzentrieren.
Es war seine Gewohnheit, früh zum Dienst zu erscheinen, aber heute war er noch früher da als sonst. In seiner Aufregung war er vor dem Weckerklingeln aufgewacht und hatte nicht wieder einschlafen können; deshalb hatte er beschlossen, früh zum Dienst zu gehen. Außerdem ließ er sich gern Zeit. Es hatte etwas unglaublich Erregendes, die manipulierten Marcain-Ampullen ins Marcain-Fach zu legen. Schauer des Behagens durchrieselten ihn - als ob er eine Zeitbombe versteckte. Er war der einzige, der wußte, welche Gefahr hier drohte. Er war der einzige, der sie in der Hand hatte.
Als er seine OP-Kleidung angelegt hatte, sah Trent sich um. Ein paar Leute, deren Dienst gleich begann, waren in den Umkleideraum
Weitere Kostenlose Bücher