Narkosemord
irgendeinen Beweis, ehe wir uns an die Behörden wenden.«
»Aber wir müssen diesen Menschen doch aufhalten!«
»Das ist richtig«, sagte Jeffrey. »Bevor noch mehr Patienten sterben und noch mehr Ärzte verurteilt werden.«
Kelly ergänzte so leise, daß Jeffrey sie kaum verstand: »Und bevor es noch mehr Selbstmorde gibt.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Um ihre Gefühle im Zaum zu halten, wandte Kelly sich den kochenden Spaghetti zu. Sie fischte eine heraus und probierte sie. Sich über die Augen wischend, sagte sie: »Sie sind fertig. Laß uns essen!«
»Ich rufe dich an, sobald die Sache vorbei ist«, sagte Karen Hodges zu ihrer Mutter. Seit einer Stunde telefonierten sie jetzt miteinander, und allmählich wurde sie ein wenig gereizt. Sie fand, ihre Mutter sollte versuchen, sie zu trösten, und nicht umgekehrt.
»Bist du sicher, daß dieser Arzt okay ist?« fragte Mrs. Hodges.
Karen verdrehte die Augen, und ihre Zimmergefährtin, Marcia Ginsburg, lächelte voller Mitgefühl. Marcia wußte genau, was Karen durchmachte. Die Anrufe ihrer eigenen Mutter waren genauso nervtötend. Dauernd warnte sie ihre Tochter vor Männern, AIDS, Drogen und Übergewicht.
»Der ist prima, Mutter«, antwortete Karen, ohne sich die Mühe zu geben, ihren Ärger zu verhüllen.
»Erzähl mir noch mal, wo du ihn herhast!«
»Mutter, das hab’ ich dir schon hundertmal erzählt.«
»Schon gut, schon gut«, sagte Mrs. Hodges. »Aber du mußt mich wirklich anrufen, sobald du kannst. Hast du gehört, Schatz?« Sie wußte, daß ihre Tochter verärgert war, aber sie konnte nichts dafür, daß sie sich Sorgen machte. Sie hatte ihrem Mann vorgeschlagen, nach Boston zu fliegen, damit sie bei Karen sein könnten, wenn sie zur Laparoskopie ginge, aber er hatte gemeint, er könne das Büro nicht so lange verlassen. Außerdem hatte er darauf hingewiesen, daß eine Laparoskopie eine diagnostische Prozedur sei und keine »richtige Operation«.
»Ist es doch, wenn es um meine Kleine geht«, hatte Mrs. Hodges geantwortet. Aber am Ende waren sie und Mr. Hodges doch in Chicago geblieben.
»Ich rufe dich an, sobald ich kann«, versprach Karen.
»Was für eine Narkose wirst du bekommen?« fragte Mrs. Hodges, um ihre Tochter aufzuhalten. Sie wollte das Gespräch noch nicht beenden.
»Epidural«, sagte Karen.
»Buchstabieren!«
Karen buchstabierte.
»Macht man das nicht bei Entbindungen?«
»Ja«, sagte Karen. »Und bei Untersuchungen wie einer Laparoskopie, wenn man nicht genau weiß, wie lange sie dauern wird. Der Arzt weiß ja vorher nicht, was er sehen wird. Es kann ein Weilchen dauern, und er will nicht, daß ich dabei bewußtlos bin. Ma, du hast das alles doch schon mit Cheryl durchgemacht.« Cheryl war Karens ältere Schwester, und sie hatte ebenfalls Ärger mit einer Endometriose.
»Du läßt doch keine Abtreibung machen, oder?«
»Mutter, ich muß Schluß machen«, sagte Karen. Diese letzte Frage war wirklich der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte. Jetzt war sie wütend. Nach all den Gesprächen glaubte ihre Mutter, daß sie log. Es war wirklich lachhaft.
»Aber du rufst an!« konnte Mrs. Hodges noch rasch sagen, ehe Karen auflegte.
Karen wandte sich zu Marcia um, und die beiden Frauen schauten einander an und brachen dann in lautes Gelächter aus.
»Mütter!« sagte Karen schließlich.
»Eine Spezies für sich«, meinte Marcia.
»Anscheinend will sie nicht glauben, daß ich dreiundzwanzig und nicht mehr auf dem College bin«, sagte Karen. »In drei Jahren, wenn ich mein Juraexamen mache, wird sie mich vermutlich immer noch so behandeln.«
»Daran zweifle ich nicht.«
Karen hatte ein Jahr zuvor ihre Abschlußprüfungen am Simmons College bestanden und arbeitete zur Zeit als Kanzleisekretärin bei einem aggressiven und erfolgreichen Scheidungsanwalt namens Gerald McLellan. McLellan war inzwischen mehr Mentor als Chef für sie; er hatte ihre Intelligenz erkannt und sie dazu gedrängt, ein Jurastudium zu beginnen. Im Herbst würde sie am Boston College anfangen.
Zwar war Karens allgemeine Gesundheit beispielhaft, aber seit der Pubertät litt sie an einer Endometriose. Im Laufe des letzten Jahres hatte sich das Problem verschlimmert. Ihr Arzt hatte sie schließlich zu einer Laparoskopie angemeldet, um zu entscheiden, wie er die Behandlung weiterführen würde.
»Du ahnst nicht, wie froh ich bin, daß du morgen mitgehst und nicht meine Mutter«, sagte Karen. »Bei ihr würde ich Zustände
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