Narkosemord
eingeschlafen bist«, sagte Kelly. »Ich nehme an, morgen früh werden wir uns verpassen. Ich muß um Viertel vor sieben aus dem Haus. Den Haustürschlüssel lege ich in die Kutschenlaterne.«
»Du willst immer noch, daß ich hierbleibe?«
Kelly runzelte in gespieltem Verdruß die Stirn. »Ich dachte, diese Frage wäre erledigt. Ich will absolut, daß du hierbleibst. Ich hatte den Eindruck, daß wir zusammen in dieser Sache stecken. Vor allem jetzt, da dieses Ungeheuer da draußen herumstreunt.«
Jeffrey kam an ihr Bett. Der Siamkater hob den Kopf und fauchte.
»Na, na, Samson, nicht eifersüchtig werden«, schimpfte Kelly. Sie sah Jeffrey an. »Er ist es nicht gewohnt, daß ein Mann im Haus ist.«
»Was sind das für Bestien?« fragte Jeffrey. »Wieso habe ich sie noch nicht gesehen?«
»Das ist Samson«, sagte Kelly und deutete auf den Siamkater. »Er ist meistens unterwegs und terrorisiert die Nachbarschaft. Und das hier ist Delilah. Sie ist trächtig, wie du siehst. Sie schläft den ganzen Tag in der Speisekammer.«
»Sind sie verheiratet?« fragte Jeffrey.
Kelly lachte. Jeffrey grinste. Er fand seinen kleinen Witz nicht besonders komisch, aber Kellys Heiterkeit war ansteckend.
Er räusperte sich. »Kelly«, begann er, »ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber du ahnst nicht, wie dankbar ich für dein Verständnis und deine Gastfreundschaft bin. Ich kann dir gar nicht genug danken…«
Kelly blickte auf Delilah hinunter und streichelte sie zärtlich. Jeffrey hatte den Eindruck, daß sie rot wurde, aber bei diesem Licht konnte er nicht sicher sein.
»Ich wollte nur, daß du es weißt«, sagte er und wechselte das Thema. »Dann sprechen wir uns also morgen wieder.«
»Sei bloß vorsichtig! Und viel Glück. Wenn du Probleme hast, rufst du an. Egal, um welche Zeit.«
»Es wird keine Probleme geben«, meinte Jeffrey zuversichtlich. Aber eine halbe Stunde später, als er die Stufen zum Boston Memorial hinaufging, war er nicht mehr so sicher. Obwohl bei dem Rundgang mit Martinez alles so glattgegangen war, befürchtete er jetzt doch wieder, er könnte einem Bekannten über den Weg laufen. Wenn er nur die Brille nicht verloren hätte. Hoffentlich war sie nicht der entscheidende Bestandteil seiner Verkleidung.
Er fühlte sich wohler, als er die Hausuniform angezogen hatte. An seinem Spind hing ein Umschlag mit einem Namensschild und seinem Hausausweis mit Foto.
Jemand tippte ihm auf die Schulter, und Jeffreys heftige Reaktion erschreckte den anderen.
»Ruhig, Mann. Nervös oder was?«
»Sorry«, sagte Jeffrey. Er stand vor einem kleinen, etwa einssechzig großen Mann mit schmalem Gesicht und dunkler Haut. »Ich bin wohl ein bißchen nervös. Ist meine erste Nacht hier.«
»Kein Grund, nervös zu sein«, sagte der Mann. »Ich bin David Arnold. Ich leite die Schicht. In den ersten beiden Nächten arbeiten wir zusammen. Also, keine Sorge. Ich zeig’ dir schon, wo’s langgeht.«
»Freut mich. Aber ich hab’ wirklich ’ne Menge Krankenhauserfahrung. Wenn Sie also wollen, daß ich allein losziehe, komme ich bestimmt auch prima zurecht.«
»Ich bleibe mit allen Neuen in den ersten beiden Tagen zusammen«, sagte David. »Nimm das nicht persönlich! Ich hab’ dann bloß Gelegenheit, dir genau zu zeigen, was hier im Memorial routinemäßig verlangt wird.«
Jeffrey hielt es für das beste, keine Diskussion anzuzetteln. David führte ihn in einen schmalen, fensterlosen Aufenthaltsraum, dessen bescheidene Einrichtung aus einem kunststoffbezogenen Tisch, einem Colaautomaten und einer Kaffeemaschine bestand. Er machte Jeffrey mit den anderen bekannt, die in der Nachtschicht arbeiteten. Zwei sprachen nur Spanisch. Einer sprach Straßenslang und tänzelte und wippte im Takt der Rap-Musik, die aus seinem Kopfhörer dröhnte.
Um eine Minute vor elf trommelte David seine Leute zusammen. »Okay, los geht’s!« rief er, und Jeffrey fühlte sich an startende Luftpatrouillen in Kriegsfilmen erinnert. Sie verließen den Aufenthaltsraum und holten sich ihre Putzwagen. Jeder Mitarbeiter war für seinen eigenen Wagen verantwortlich. Jeffrey tat es den anderen nach und sorgte dafür, daß sein Wagen die notwendige Ausstattung an Reinigungsgeräten und -mitteln aufwies.
Die Wagen waren etwa doppelt so groß wie Einkaufswagen. Am einen Ende war langstieliges Gerät untergebracht: ein Mop, ein Staubwedel, ein Besen. Am anderen Ende war ein großer Plastikmüllsack. Im Mittelteil befanden sich drei Fächer mit allerlei
Weitere Kostenlose Bücher