Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
Vom Netzwerk:
Spinne?«, fragte Berner und runzelte die Stirn. »Nicht gerade anheimelnd.«
    »Die Kreuzspinne wurde im Mittelalter wegen ihres Zeichens als gesegnetes Wesen angesehen«, gab Georg zurück. »Im Allgemeinen personifiziert die Spinne einen asketischen oder künstlerischen Menschen, oft symbolisiert sie auch die eigene dunkle Seite.« Der Historiker dachte kurz nach. »Sie führt aber in der Symbolik oft zu Verborgenem, zu vergessenen Archetypen, zu verlorenen Archiven. Zudem war die Spinne das erklärte Lieblingstier von Metternich. Sein Vorbild gewissermaßen. Er meinte, sie säße inmitten ihres fein gesponnenen Netzes und auch die kleinste Bewegung gelangt über die Fäden zu ihr. Aber umgekehrt ist sie auch eine Gefangene im eigenen Werk, gerade so wie er selbst. Sein ganzes Überwachungssystem, all seine Spitzel nutzten ihm nichts, hemmten und klagten ihn nur an, als er entmachtet zum Erzfeind England fliehen musste.«
    Der Wissenschaftler machte eine umfassende Armbewegung. »Schau dir die dominanten Farben an – Dunkelrot und Gold. Rot war im Mittelalter die Farbe der Machtausübung, ein Zeichen für Respekt, in der Heraldik bedeutete es erwiesene Tapferkeit und Dienst am Vaterland, sein Planet war der Mars, der Gott des Krieges. Und Gold steht zwar heute für eine absolute Spitzenleistung, aber damals bedeutete es Verstand, Ansehen, Tugend und Hoheit. Es war das Symbol der Sonne und des Göttlichen.«
    »Bist du auch meiner Meinung, dass es sich hier um eine Gruft handelt, Georg?«, fragte Berner und stand auf.
    Sina nickte. »Es deutet zumindest alles darauf hin. Das Kreuz, die Stufe mit den beiden Ringen, die wahrscheinlich angebracht worden waren, um die Platte zu heben.« Georg ging vor der Stufe in die Knie und wies Burghardt und Berner auf eine dünne Linie hin. »Schaut, der Deckel der Stufe ist nicht so dick, ganz im Gegenteil. Es muss damals möglich gewesen sein, das Grab zu zweit zu öffnen. Zwei Mann, eine Stange durch die beiden Ringe und der Rest war Muskelkraft. In der Stufe ist das Grab versteckt, und nachdem es sich hier um eine geheime Gruft handelt, waren nicht viele Leute eingeweiht.«
    »Aber müsste dann nicht viel mehr Schwarz hier verwendet worden sein?«, fragte Burghardt. »Als Farbe der Trauer?«
    »Nein, auch Rot ist eine Farbe, die in verschiedenen Kulturen bei Beerdigungen verwendet wird«, überlegte Georg laut. »Sie gilt dann als die Farbe des Lebens, der Wiederauferstehung, aber auch als Schutz vor bösen Geistern. Irgendwie habe ich das Gefühl, um genau das geht es hier – um die bösen Geister, die abgewehrt werden sollen.«
    Berner ging auf und ab und seine Schritte hallten durch den Raum. »Also, dann lasst uns zusammenfassen, was wir haben: eine geheime Gruft aus dem Beginn des 19. Jahrhunderts, in der eine mächtige, wohlhabende Persönlichkeit begraben wurde, die den Schutz vor bösen Geistern benötigte. Andererseits haben wir das Zeichen der Kreuzspinne, die uns von einem asketischen, aber künstlerischen Menschen im Zentrum eines fein gesponnenen Netzes erzählt, der eine dunkle Seite hatte und dessen Werk sich durchaus gegen ihn selbst richten hätte können oder hat. Die uns allerdings als Symbol auch zu Verborgenem, Vergessenem führen kann. Richtig?«
    »Das wäre die Aussage der Gruft, wenn es nach der Symbolik ginge«, bestätigte Georg. »Und jetzt zum Kreuz über dem Grabmal, das im Original in Nussdorf steht. Es kann daher kaum eine nähere Mitteilung über den hier Begrabenen enthalten, wie etwa sein Sterbeoder Geburtsdatum oder seinen Namen. Sind deswegen die goldenen Lettern an den Wänden? Die könnten sehr wohl eine Abkürzung seines Namens sein.«
    »Ein so langer Name?«, wunderte sich Burghardt, »das kann ich mir nicht vorstellen.«
    »Auf vielen Grabsteinen wurden auch Funktionen, der Beruf oder ein Motto des Verstorbenen eingemeißelt«, erinnerte ihn Sina. »Das könnte hier genauso sein. Denkt an die Buchstaben R.I.P. für Requiescat In Pace, Ruhe in Frieden. Oder etwa ›Hier liegt Franz Müller, Hausherr und Seidenfabrikant‹ oder Ähnliches.«
    Georg dachte, was wohl bei Irina auf dem Grabstein stehen würde. Er sah sie plötzlich vor sich in dem geheimnisvollen roten Raum und dann in der Schublade des Obduktionscontainers und er schloss die Augen.
    »Viel Platz ist in dieser Stufe aber nicht gerade«, überlegte Berner laut und die ersten Zweifel an der Theorie der geheimen Gruft kamen ihm. »Wenn da ein Sarg auch noch hineinpassen

Weitere Kostenlose Bücher