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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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sich eine Frauenstimme.
    »Hálló, itt Lamberg Ireneuszné …« Die Stimme stockte, Georg hörte schweres Atmen. Dann sagte die Frau gefasst: »Hálló, tessék!«
    Georg war verunsichert, schließlich zwang er sich zu einem freundlichen: »Hello Mrs. Lamberg, this is Professor Georg Sina calling from Vienna. May I talk to your husband, please?«
    »Professor Sina? Aus Wien? Das ist sehr freundlich von Ihnen, dass Sie mich anrufen, um mir zu kondolieren«, antwortete die Frauenstimme fast völlig akzentfrei. »Sie waren der Letzte, der meinen armen Ireneusz noch lebend getroffen hat. Und er war sehr von Ihnen angetan.«
    »Wie bitte?« Georg glaubte nicht richtig gehört zu haben.
    »Sie wissen es also noch gar nicht?« Die Frau begann zu weinen, fing sich aber rasch wieder und wandte ihre ganze Selbstbeherrschung auf, um mit ruhiger Stimme weiterzusprechen: »Nachdem mein Mann Sie getroffen hatte, haben wir noch telefoniert. Er war gerade dabei, sich auf den Weg zurück nach Budapest zu machen, und freute sich schon auf zu Hause. Er hatte alle Dinge geregelt, wie er es sich vorgenommen hatte. Aber dann ist er niemals bei mir angekommen.«
    »Das ist ja furchtbar …«, stammelte Georg, unfähig, die passenden Worte zu finden. Es war eine jener Situationen, in denen alle Phrasen fehl am Platz schienen. »Wie? Entschuldigen Sie bitte … Was ist geschehen?«
    »Es war ein Unfall.« Die Witwe überspielte geschickt Georgs Unsicherheit und Direktheit. »Ireneusz hat wohl in einer Baustelle, ich glaube bei einem Ort namens Fischamend, die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren und …« Sie verstummte und schluckte ein paarmal, bevor sie wie im Polizeijargon fortfuhr: »Ein Lkw im Gegenverkehrsbereich hat seinem Leben frühzeitig ein Ende gemacht.«
    »Das tut mir sehr leid. Ich verstehe, was sie durchmachen. Meine Frau ist auch …« Georg stammelte mehr, als dass er sprach.
    »Das ist sehr freundlich von Ihnen, Professor«, unterbrach ihn die Frau unvermittelt. »Wenn Sie mir Trost spenden wollen und das Andenken von Ireneusz Lamberg bewahren wollen, dann tun Sie bitte, worum er Sie ersucht hat. Und finden Sie seinen Mörder, führen Sie ihn der Gerechtigkeit zu! Und jetzt, Professor, entschuldigen Sie mich. Leben Sie wohl!«
    »Selbstverständlich! Auf Wiederhören!« Georg legte auf und fühlte sich, als ob ihm jemand einen Eimer eiskaltes Wasser über den Kopf gegossen hätte. Die Namen auf der Liste tanzten vor seinen Augen. Es entsprach also den Tatsachen. Lamberg war tot und seine Witwe ließ keinen Zweifel offen, dass es sich bei seinem Unfall um einen Mord gehandelt hatte.
    Lkw, Gegenverkehr … Georg dachte an Ruzicka und wie sich die Fälle glichen. Vielleicht war es sogar derselbe gewesen, der Ruzicka …
    In diesem Moment verwandelte sich Lamberg in Georgs Erinnerung in einen recht angenehmen und sympathischen Zeitgenossen und es tat ihm augenblicklich leid, nicht freundlicher zu ihm gewesen zu sein. Aber das waren Versäumnisse im Leben, die nicht mehr rückgängig zu machen waren, sagte er sich. Er hätte schließlich auch Claras Spritztour auf dem Motorrad verhindern oder mit Irina nach Grub fahren können.
    Sina klopfte mit den Fingerknöcheln seiner Faust auf den Tisch. Keine Vorwürfe mehr, um sich mit ihnen zu steinigen, beschloss er, das hatte keinen Sinn und war total fruchtlos. Schließlich wischte Georg die Chimären mit einer Handbewegung fort.
    Noch einmal betrachtete er den Zettel vom Zentralfriedhof. Jeder dieser Namen war eine einzige Anklage, forderte Gerechtigkeit. Nein, sagte er sich, es war mehr: Sie schrien zu ihm nach Vergeltung. Berner hatte recht, die Zeit des Wegsehens war vorbei.
    Die Jagd auf die Verschwörer war eröffnet.
    Flughafen Tegel, Berlin/Deutschland
    A ls Paul die Kawasaki über die Rampe im Tunnel am Flughafen Tegel hinauf beschleunigte, sprang der Hauptterminal geradezu in sein Blickfeld. Valerie saß nicht mehr ganz so entspannt auf dem Rücksitz des Motorrads wie noch zu Beginn der Fahrt in Stahnsdorf. Der Reporter musste auf der Strecke Friedhof–Flughafen den inoffiziellen Berliner Rekord unterboten haben, und zwar gleich um einige Minuten.
    Er legte die Kawasaki in eine weit gezogene Rechtskurve, wich ein paar Taxis aus, die auf der Jagd nach Passagieren waren, und flog geradezu über die Nebenfahrbahn zum Eingang 6. Knapp vor einem wartenden jungen Mann in Lederkombi bremste er die schwere Maschine. Valerie kletterte mit etwas weichen Knien vom Rücksitz und

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