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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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Geheimdienstes führte.«
    Paul und Georg sahen sich aufmerksam um.
    »Zweitens war dieser Raum einer der schönsten im josephinischen Trakt, die Kaiserappartements jetzt einmal ausgenommen. Schirach, genau wie ich heute, saß in einem traditionsreichen Zimmer, das bereits Staatskanzler Kaunitz einrichten und dekorieren ließ. Beachten Sie die Malereien an der Decke, die Maria Theresia in der Mitte des Deckenfreskos zeigen. Das harmoniert perfekt mit den vier Medaillen weiter unterhalb, die römisch-deutsche Kaiser zeigen. Schirach saß unter dem Medaillon Heinrichs IV. und das dürfte ihm durchaus gefallen haben.«
    Paul erkannte das markante Profil Friedrichs III. und stieß Georg in die Seite. Der nickte nur, lauschte aber weiter den Ausführungen Breiteneckers.
    Breitenecker lächelte und deutete auf einen Plan, der gerahmt an der Wand zwischen den Fenstern hing. »Drittens war es von hier nicht weit zur Batthyanystiege. Die Gefahr, sich in den endlosen Gängen der Hofburg zu verlaufen, war hier wirklich gering«, gab der Professor zu bedenken. »Obwohl man sagt, dass sich Schirach lange Jahre mit den Plänen der Hofburg beschäftigt hatte und sich im Haus besser auskannte als mancher Angestellte der Burghauptmannschaft.«
    Georgs Gedanken arbeiteten auf Hochtouren. Er überflog rasch die Einteilung der Kästen, das Deckenfresko, die Medaillons mit den Kaiserporträts an den Basen der Gewölbebögen, entzifferte die Abkürzungen der aufgelisteten Titel, analysierte einige der Verzierungen und die Positionen der Putten, die Windungen der Schnitzereien. Hatte Schirach das vierte Dokument in seinem Büro versteckt? Oder in seiner Wohnung? Wahrscheinlicher waren seine Arbeitsräume, dachte Georg, da hatte er es immer unter Kontrolle.
    Er wandte sich an Breitenecker. »Darf ich mir einmal die Bauweise dieser Schränke anschauen?«, fragte er, »es ist selten, ein so komplett erhaltenes Ensemble in Augenschein nehmen zu können, an dem es offenbar keine Restaurierungen oder Änderungen in zweihundert Jahren gegeben hatte.«
    Der Professor nickte. »Selbstverständlich, Herr Kollege, die Türen sind offen und wir haben keine Geheimnisse. Wenn Sie mich in der Zwischenzeit kurz entschuldigen wollen, ich werde versuchen, uns einen Kaffee aufzutreiben.« Breitenecker verließ den Raum.
    Paul stieß Georg an. »Der Countdown läuft! Wir haben nur ein paar Minuten. Wo könnte Schirach dieses verdammte Dokument versteckt haben? Ich zerbreche mir schon die ganze Zeit den Kopf. Dieses hier ist ohne Zweifel sein Büro, und Platz hatte er in diesem hölzernen Labyrinth aus Fächern, Türen, Durchgängen und Verkleidungen mehr als genug. Die Frage ist also nur – wo? Es muss einen Hinweis geben.« Er warf einen Blick auf die Kanzleikästen und ließ seinen Blick über die Schnitzereien wandern. »Die geschnitzten Applikationen sind auf allen Türen identisch, also vergiss es. Außerdem kann man dahinter nichts verstecken. Die Anordnung der Kästen ist symmetrisch, die Pilaster, Schnecken und Lisenen sehen alle gleich aus. Wie Professor Breitenecker uns verraten hat, sind die Geheimtüren mit Platten verschlossen worden. Sollte das Dokument dahinter stecken, dann haben wir keine Chance. Größere Bauaktionen in der Hofburg würden nicht unbemerkt über die Bühne gehen …«
    Paul verstummte, sah Sina an und rief aus: »Georg! Hörst du mir überhaupt zu?«
    Der Wissenschaftler blickte in Gedanken versunken auf die Decke mit ihren farbenfrohen Fresken. Maria Theresia, Friedrich, Heinrich …
    »Komm rasch hier herüber«, sagte er leise und zog Paul am Ärmel hinter sich her. Dann deutete er auf die Verkleidung unter dem Kaiserporträt. »Wenn du genau schaust, dann treffen sich hier zwei Teile des riesigen Schrankes. Die Türen links und rechts der Verkleidung gehen nicht in dieselbe Richtung auf, sondern entgegengesetzt. Während an allen anderen Stellen die Trennbretter zwischen den einzelnen Elementen nur dünn sind, hier ist der Zwischenraum so breit wie die Verkleidung davor.«
    Wagner nickte und öffnete die beiden Holztüren. Dahinter kamen Vorlesungsverzeichnisse, Seminararbeiten, einige Bücher über Shakespeare, mittelalterliches Theater und ein Dutzend Filmlexika zum Vorschein.
    »Direkt unter dem Canossa-Heinrich«, murmelte Sina, »schon seltsam … Heinrich war der dritte Herrscher aus der Salierdynastie, trotzdem ist direkt unter ihm das Wappen von Habsburg-Lothringen an der Blende des Schrankes angebracht

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