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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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der akuten Toxizität besitzt Senfgas hochgradig kanzerogene Eigenschaften, die Spätfolgen sind also unabsehbar.«
    Paul war so geschockt, dass er aufgehört hatte, sich Notizen zu machen, und an seinem Stift kaute. »Was gibt es für eine Möglichkeit, sich zu schützen?«, wollte er wissen. »Gibt es ein Gegenmittel?«
    Johann schüttelte den Kopf. »Zu Senfgas gibt es bis heute kein Antidot. Und Schutz bieten nur die ABC-Ganzkörperanzüge, die niemand länger als zwei Stunden tragen kann. Senfgas durchdringt alles. Egal, ob normale Kleidung, feste Schuhe, stabile Uniformen, das Zeug hält nichts auf. Man kann mit Schmierseife seine Haut abwaschen, wenn man kontaminiert wurde, aber das ist ein sehr fragliches Verfahren. Jede Behandlung muss die Zerstörung des Giftes zum Ziel haben. In den Feldlazaretten des Zweiten Weltkrieges setzte man auf die Verabreichung großer Mengen von Chlorkalkbrei oder Chloraminlösung. Im Notfall griff man auf Soda und warmes Seifenwasser zurück und konnte so eine allmähliche Giftzersetzung erreichen. Da es nicht wasserlöslich ist, bringt ein Abwaschen mit reinem Wasser nicht nur keinen Erfolg, sondern ist sogar schädlich, da die Haut durch Wasser aufgeweicht wird und das Gift daher besser in den Organismus gelangen kann.«
    »Was ist mit einer medizinischen Behandlung unmittelbar danach?«, wollte Dr. Sina wissen.
    »So gut wie unmöglich«, gab Johann zurück. »Da es kein probates Gegenmittel gibt, existiert keine spezifische Behandlungsmöglichkeit, außer einer meist viele Wochen dauernden intensivmedizinischen Versorgung der auftretenden Symptome. Und zu den erzielten Erfolgen in den Feldspitälern fehlen mir die Daten. Die teilweise unerträglichen Schmerzen müssen mit Morphinen oder ähnlichen stark wirksamen Medikamenten behandelt werden. Aber das ist nur eine Linderung der Folgen.«
    »Das ist ein wahres Teufelszeug«, flüsterte Valerie. »Welches kranke Hirn kann das in versteckten Depots mitten in einer Stadt lagern?«
    »Das hängt mit den Gesetzen zusammen, die nach und nach im letzten Jahrhundert von den meisten Staaten ratifiziert wurden«, führte Johann weiter aus. »Erst 1997 trat ein Vertrag in Kraft, der die Herstellung, Entwicklung und Lagerung der Kampfstoffe verbot. Bis dahin waren Depots am liebsten vergessen worden oder ihr Inhalt sang- und klanglos ins Meer entsorgt. Noch heute liegen Hunderttausende Giftgasgranaten in der Adria, der Nord- und Ostsee und an manchen Tagen gehen sie auch Fischern ins Netz.«
    »Nachdem wir nach 1918 keinen Zugang mehr zum Meer hatten, denke ich jetzt lieber nicht über die Depots nach, die nach dem Zusammenbruch der Monarchie übrig geblieben sind«, murmelte Georg. »Wie lange bleibt das Zeug wirksam, wenn es erst einmal an der Luft ist?«
    Johann sah den Wissenschaftler an. »Bei den derzeitigen sommerlichen Temperaturen nicht so lange wie beispielsweise im Winter. Aber wir müssen noch immer mit bis zu sieben Tagen rechnen, selbst bei leichtem Wind.«
    »Sieben Tage?«, rief Paul aus. »So lange? Das ist unglaublich. Kann man die Zivilbevölkerung irgendwie schützen?«
    »Praktisch nicht«, antwortete Johann wie aus der Pistole geschossen. »Vor allem nicht gegen einen überraschenden Terroranschlag. Der Aufenthalt in geschlossenen und nicht vom Giftgas betroffenen Räumen würde bei einer entsprechenden Vorwarnzeit einen relativ sicheren Schutz bieten. Dabei sollten aber auch alle Fenster, Türen und anderen Maueröffnungen mit Klebeband verschlossen werden. Also nicht durchführbar in unserem Fall, und schon gar nicht bei vier Explosionen hintereinander und in verschiedenen Stadtteilen.«
    »Diese Explosionen sind einfach nur menschenverachtend«, stellte Berner zornig fest, »es geht ausschließlich darum, nach den Demonstrationen und den Politikermorden die derzeitige Regierung zu diskreditieren und unter Druck zu setzen, auf Kosten von Tausenden Zivilopfern.«
    »Vielleicht ist das alles nur eine leere Drohung, um den Bundespräsidenten zum Einlenken zu bewegen, und es ist nie eine Explosion geplant?«, gab Paul zu bedenken.
    »Und wenn doch?«, antwortete Georg. »Wer von euch möchte das Risiko übernehmen?«
    Alle schwiegen betroffen.
    »Also müssen wir etwas unternehmen.« Er wandte sich an Johann. »Eine letzte Frage. Wie sehen diese Granaten aus?«
    Der schmächtige Mann dachte kurz nach. »Am einfachsten sind sie natürlich an dem gelben Kreuz zu erkennen, das auf jede Granate gemalt wurde. Aber auch

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