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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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schnell an der Basis des Obelisken wieder, vor einer Figurengruppe, die drei Frauen zeigte.
    »Das ist wohl die schönste Gruppe des Heldenberges«, erklärte der alte Mann. »Das sind die drei Parzen, Klotho, Lachesis und Atropos, die Unentrinnbare. Die erste Schicksalsgöttin spinnt den Lebensfaden, die andere spannt ihn und die letzte durchtrennt ihn.«
    »Ein sehr schönes Bild«, kommentierte Wagner und blickte dann den Obelisken hinauf in den Sternenhimmel. »Und wer ist der goldene Mann dort oben?«
    »Thanatos, der Gott des Todes.« In Nachtigalls Augen erschien ein verklärter Schimmer. »Er ist ein Spross des ältesten und edelsten Göttergeschlechtes. Er war schon da, bevor die Götter auf dem Olymp herrschten, und er wird noch da sein, wenn sie längst vergangen sind.«
    »Und er ist ihnen feind«, meldete sich Sina zu Wort. »Sein Bruder ist der Schlaf. Und wie der kommt er sanft und überraschend.«
    »So ist es, Professor.« Der Weißhaarige lächelte vielsagend. »Hatten Sie etwa schon das Vergnügen, ihm zu begegnen?«
    »Öfter, als mir lieb war«, bestätigte Georg und zog die Brauen zusammen.
    »Und er überragt sogar die Büsten und Säulen der Sieger, so als wollte er uns sagen, euer Triumph ist nur auf Zeit, ich hole mir alles zurück, wenn es mir passt …«, flüsterte Paul.
    »Ein einnehmender Symbolismus, nicht wahr, Herr Wagner.« Der Butler umrundete den Obelisken und die hellen Kiesel knirschten unter seinen Sohlen. Tschak hechelte den Berg herauf, einen Zapfen in seinem Maul.
    Paul und Georg folgten dem alten Mann und ein weiter Platz öffnete sich vor ihren Blicken. In der Mitte stand eine Figur Clios, die Muse der Geschichtsschreibung, flankiert von zwei Siegessäulen mit geflügelten, weißen Niken. Um die Siegesgöttinnen waren jeweils vierundzwanzig Büsten im Kreis gruppiert. Die Stufen zur Säulenhalle hinauf bewachten die Standbilder von Rittern in Harnischen. In ihrem Rücken waren dekorativ die Flaggen und Standarten der besiegten Feldherren und Nationen drapiert. Deutlich war Napoleons Adler darunter zu erkennen. Auf den Balustraden neben der Säulenhalle und auf der Freitreppe blickten die Marschälle und Feldmarschälle der kaiserlichen Heere in die Nacht. Inmitten der militärischen Prominenz machte Paul die Züge des Prinzen Eugen und von Erzherzog Karl aus, die auch auf dem Wiener Heldenplatz in Reiterstandbildern verewigt waren. Ares, der Gott des Krieges, thronte auf dem Giebel des tempelartigen Gebäudes im Hintergrund.
    »Bitte sehr, Sie sehen die siegreichen Krieger der Kaiser.« Nachtigall vollführte eine ausladende Armbewegung.
    »Ich hatte keine Ahnung, dass es so viele sind …«, wunderte sich Wagner.
    »In dem Gebäude da hinten, der Säulenhalle, hätten nach dem Willen des Herrn Pargfrieder Invaliden und Veteranen leben sollen, um nach ihrer aktiven Zeit versorgt zu sein und um die weitläufige Anlage in Schuss zu halten. Aber dazu ist es nie gekommen.« Der Butler deutete auf den Hügel rechts neben der Säulenhalle. »Hier vorne in der Mitte stehen jeweils vierundzwanzig Büsten. Sie porträtieren die Teilnehmer am Italien- und am Ungarnfeldzug.« Der Butler ließ seinen ausgestreckten Zeigefinger langsam über das mondhelle Areal wandern, während er erklärte. »Da rechts von uns befindet sich die Kaiserallee mit zweiundzwanzig Büsten von Herrschern aus dem Hause Habsburg. Unweit von hier finden wir auch die einzige Darstellung einer historischen Frau auf dem Heldenberg, nämlich Maria Theresia. Den Endpunkt der Kaiserallee bildet eine lebensgroße Plastik von Kaiser Franz Joseph als junger Mann. Darum herum im Halbkreis angelegt ist die Heldenallee.«
    »Können wir einen Blick in die Gruft werfen, bitte?«
    »Gerne.« Nachtigall drückte auf ein viereckiges Zierelement in der metallenen Tür im Sockel des Obelisken und zückte einen Schlüssel. Ein modernes Zylinderschloss wurde sichtbar. Der Alte schloss auf, zog an den schweren Türflügeln und schaltete dann das Licht ein. Eine steile, schmale Treppe führte tief in den Hügel hinein, gesäumt von weißen Statuen trauernder Frauen in langen wallenden Gewändern. Ein Schwall modriger Luft schlug ihnen entgegen.
    Nachtigall verschwand erstaunlich schnell in der Tiefe. Seine Stimme hallte dumpf nach oben. »Wir hatten ein wenig Probleme mit dem Grundwasser, das können Sie ja riechen. Aber jetzt haben wir das endlich im Griff.«
    Während Paul gerade aufschwimmende Särge vor seinem geistigen Auge

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