Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
Vom Netzwerk:
herumschaukelte, warf Georg einen unsicheren Blick die Treppen hinunter. Die Enge der Gruft … Aber dann holte er tief Luft und nahm mit entschlossenem Gesicht die Stufen in Angriff.
    In der ersten Grabkammer wartete Nachtigall auf sie und wies auf die beiden Grabplatten. »Hier liegen Radetzky und Wimpffen. Gut bewacht, wie Sie sehen.« Er wies auf die beiden bärtigen Ritter mit gezückten Schwertern und offenen Visieren, die neben dem Treppenabsatz in zwei Nischen lauerten. Ein Kristalllüster und dazu passende Wandappliken beleuchteten den unterirdischen, hell ausgemalten Raum. In die Seitenwände waren dunkelgrüne Metallplatten mit goldenen Lettern und Verzierungen eingelassen. Auf den beiden Gruftdeckeln prangten die Wappen und Orden der zwei Feldmarschälle, vor dem von Radetzky lag ein verdorrter Kranz mit rot-weiß-roter Schleife.
    Knapp unter der Decke verkündeten goldene Buchstaben auf grünem Grund zur Warnung:
    »WEHE DEM, DER UNSERE RUHE STÖRET – WIR SIND NICHT TOT, WEIL WIR SCHWEIGEN«.
    Über den Kapitalen waren fünf fünfzackige Sterne angebracht. Ihre Spitze wies nach unten.
    Geradezu anheimelnd, dachte Sina und blickte eine Ebene tiefer. Der Metalldeckel zur nächsten Gruft stand offen. Auf der Querstrebe des Durchganges stand »Errichtet 1857« und Georg konnte an ihr vorbei direkt auf Pargfrieders Sarg schauen, der nicht lag, sondern in einem 45-Grad-Winkel zwischen zwei Statuen aufgerichtet war.
    Ein Symbol jagt das nächste, überlegte der Wissenschaftler. Erst die angedeuteten Pentagramme, dann das Grün für das ewige Leben, jetzt der halbe rechte Winkel. Und der Spruch auf dem Sarg war zudem mehr als irritierend. Sina las: »HIER ARBEITET DIE NATUR; AN DER VERWANDLUNG DES MENSCHEN.« Direkt darunter erkannte er das Kürzel, von dem Nachtigall gesprochen hatte und das Pargfrieder auf beinahe jedem Monument des Parks verewigt hatte, um seine Abstammung von Kaiser Joseph zu verklausulieren:
    K.I.S.I.P.F.V.F.
    An der Entschlüsselung dieser acht Buchstaben waren schon viele gescheitert und auch Georg konnte sich im Moment keinen schlüssigen Reim darauf machen.
    »Er sitzt, müssen Sie wissen.« Nachtigall genoss den Ausdruck der Überraschung auf den Gesichtern Wagners und Sinas. »Ja, ich sage Ihnen die Wahrheit. Herr Pargfrieder sitzt da in voller Rüstung und mit Asphalt übergossen. Zur Mitternacht, auf einem hölzernen Wagen, gezogen von zwei schwarzen Ochsen hat er sich bestatten lassen. Nur der Ortspfarrer und sein Kammerdiener durften dabei sein«, murmelte Nachtigall. »Die Russen haben das nicht geglaubt, als die den Heldenberg besetzt hatten. Darum haben sie den Sarg geöffnet.« Der alte Mann schwieg, als sei er entsetzt über so viel Frevel. Dann fuhr er fast unhörbar fort. »Er sitzt wirklich da drinnen in seiner Rüstung und mit einem rot geblümten Seidenmantel. Ich habe ihn selbst gesehen, bei der letzten wissenschaftlichen Untersuchung. Als die Russen den Deckel aufgemacht haben, so erzählt man sich, habe sich sein Kopf bewegt. Er soll genickt haben. Die Iwans sind darüber so erschrocken, vor allem jene, die Deutsch konnten und den Spruch unter der Decke gelesen haben, dass sie sogar auf den Toten geschossen haben. Sie wollten ganz sichergehen, dass er tot sei …«
    »Irrwitziger Aberglaube«, kommentierte Wagner und schüttelte den Kopf.
    Georg konnte sich der unheimlichen Wirkung der Geschichte allerdings nicht ganz entziehen. Am liebsten hätte er auf der Stelle sofort kehrtgemacht und wäre hinauf, hinaus an die frische Luft. Er wusste, dass es im Mittelalter nur den größten Persönlichkeiten vorbehalten war, sitzend begraben zu werden. Es galt als Zeichen des ewigen Lebens. Der Legende nach war Karl der Große auf seinem Thron sitzend begraben worden. Alle Kaiser, die gemäß der Sage wiederkehren sollten, saßen in ihren Bergen, sei es im Kyffhäuser oder sonst wo … und dieser Pargfrieder thronte im Heldenberg, dachte Sina, und das noch mumifiziert, obwohl die Natur an seiner Umwandlung arbeitete.
    Aber Nachtigall ließ ihnen keine Pause, reihte eine skurrile Geschichte an die andere. »Als Franz Joseph im Jahr 1858 zur Beisetzung Radetzkys genau an dieser Stelle gestanden war, um von seinem greisen Feldherrn Abschied zu nehmen, hatte er alle bis auf Pargfrieder und einen Adjutanten hinausgeschickt.« Der alte Mann sah sie lauernd an und wartete auf ihre Reaktion. »Dabei hat der Kaiser, wie Sie beide vorhin, die Ausschachtung für die dritte Gruft

Weitere Kostenlose Bücher