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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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wenn die Situation außer Kontrolle gerät! Hast du schon einmal den Begriff ›Laternisieren‹ gehört, Manfred? Das ist, wenn dich ein wütender Mob an einer Laterne aufknüpft. Du glaubst, du bist unverwundbar, aber das ist ein Irrtum. Der ganze Spuk ist inszeniert von Anfang bis zum Schluss, wie ich es vorausgesagt habe! Da draußen sind Protestprofis am Werk und ein paar brave Leute mit einem Anliegen sind in ein Schlamassel geraten, aus dem sie nur schwer wieder herauskommen. Und genau daran seid ihr Schuld.«
    »Ich weiß, Konrad, ich weiß. Aber was willst du jetzt machen? Tu deine Pflicht und stell wieder Ruhe und Ordnung her. Mit deiner langjährigen Erfahrung …«
    Ein lauter Knall unterbrach den Minister. Ein Pflasterstein war an die schusssichere Scheibe geschleudert worden. Dann ging es Schlag auf Schlag. Als sei ein Damm gebrochen, knallten immer mehr Steine gegen die Fenster. Fürstl sah sein entsetztes Gegenüber spöttisch an. »So schnell kann es gehen und die Lage eskaliert, ein Zwischenfall reicht und Wien brennt.«
    Die Tür zum Büro flog auf und Hilde stürzte herein. »Herr Minister, Herr Minister, die beiden Männer, die mit dem Finanzminister gekommen sind …«
    Fürstl sprang auf. »Ist das der Grund, warum die Demonstranten so ausrasten?«, fragte der Minister die sprachlose Sekretärin, die von einem Polizisten beiseitegestoßen wurde, der an ihr vorbei aufgeregt ins Büro des Ministers stürmte.
    »Das ist unglaublich! Die beiden haben eine Hundert-Euro-Banknote auf den Kopierer gelegt, vervielfältigt, die Kopien zugeschnitten und die Scheine dann durch ein offenes Fenster auf die Menge geworfen.« Der Polizist war wie vor den Kopf gestoßen.
    Der Innenminister kniff die Augen zusammen, bis sie nur mehr schmale Schlitze waren. »Manfred, auf welcher Seite stehst du eigentlich? Sollte das lustig sein? Dann kann ich euren Sinn für Humor nicht teilen.« Der Innenminister warf Wegscheider einen vernichtenden Blick zu, dem er nicht standhielt. »Wo sind die zwei Spaßvögel jetzt?«
    »Habe ich verhaften und abführen lassen«, antwortete der wachhabende Offizier.
    »Sehr gut!«, brummte Fürstl und ignorierte den protestierenden Finanzminister. »Und du, Manfred, reg dich nicht auf, sonst liefere ich sie einfach dem Mob auf der Straße aus. Gar keine schlechte Strafe, findest du nicht?« Dann wandte er sich an den wachhabenden Offizier. »Was machen die da unten auf der Gasse im Moment?«
    »Gruppen von Demonstranten versuchen, mit Sitzbänken vom Michaelerplatz die Türe des Ministeriums aufzubrechen. Bisher erfolglos«, meldete sich ein weiterer Uniformierter zu Wort.
    »Was ist mit dem Tor und der Pkw-Ausfahrt auf die Herrengasse hinaus?«, erkundigte sich Fürstl, der einen Ausweg aus der Belagerung suchte.
    »Frei. Bis auf die Menschenmenge davor, Herr Minister«, rapportierte der Wachhabende wie aus der Pistole geschossen.
    »Gut, dann machen wir das folgendermaßen«, bekräftigte der Innenminister seinen tollkühnen Entschluss. Der Hinterausgang kam für ihn nicht in Frage. Also befahl er: »Wachmannschaft als Einsatzeinheit in voller Einsatzausrüstung im Hof antreten. Während sich die Männer umziehen, die Wagen fertig machen. Ich fahre als Zweiter hinaus, ein Wagen vor mir. Ihre Leute halten mit ihren Schilden und Stöcken den Weg durch die Herrengasse frei.« Den Protest des Offiziers schnitt Fürstl mit einer knappen Handbewegung ab. »Ich lasse mich von diesen wild zusammengerotteten Rabauken nicht einschüchtern. Wenn mein Wagen aus der Gefahrenzone ist, bringen Sie den Finanzminister in Sicherheit.« Er schaute Wegscheider an. »Oder du bleibst hier und leistest meinem Kabinettschef Gesellschaft. Ihr werdet euch sicher prächtig verstehen.«
    9. Juni 1815, Palais am Ballhausplatz, Wien/Österreich
    F ürst Clemens Metternich sah befriedigt D. Joaquim Lobo da Silveira zu, wie er als letzter der drei portugiesischen Delegierten die Feder aus der Hand legte. Ein Sekretär beugte sich dienstfertig über seine Schulter und trocknete die Tinte auf dem wohl wichtigsten Dokument, auf das sich Europa in diesem anbrechenden Jahrhundert geeinigt hatte. Keine Stunde zuvor hatte Metternich selbst für Österreich unterschrieben, an erster Stelle. Die 121 Artikel des Vertrags waren in monatelanger Arbeit auf dem Wiener Kongress ausgehandelt worden. Keinem anderen als ihm, Clemens Metternich, war es zu verdanken, dass der Vertrag überhaupt zustande gekommen war. Die Grenzen Europas

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