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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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Schenkel zu zeichnen. Schließlich drehte er sich um und spähte zum Rückfenster hinaus. Aber viel konnte er in der einsetzenden Dunkelheit und geblendet von der Straßenbeleuchtung nicht erkennen. Über den Wipfeln einiger Bäume sah er schließlich einen Augenblick lang die goldene Kuppel der Kirche am Steinhof. Interessant, dachte Georg, wir fahren auf den Gallitzinberg, eine noble Gegend. Die Anhöhe im Westen der Stadt, auch Wilhelminenberg genannt, am Rande des Wienerwaldes, wurde von großen Grünflächen und eleganten Villen bestimmt.
    Er versuchte sich erneut zu orientieren und kam bald zu dem Schluss, dass die Limousine in etwa der Sanatoriumsstraße nach Westen gefolgt und nun über den Heschweg und die Savoyenstraße nach Norden in Richtung Stadtrand unterwegs war. Was die Fahrer nicht wissen konnten, war, dass sich Georg in dieser Gegend recht gut auskannte. Zum einen hatte eine Exfreundin von ihm hier gewohnt und zum anderen war er öfters in der hier eingerichteten psychiatrischen Klinik zu Besuch bei einem Freund und Studienkollegen gewesen.
    Der Rolls-Royce hielt kurz im Licht einer Straßenlaterne an. Georg reckte den Hals und folgerte, dass sie am Ziel angekommen waren, denn offensichtlich wartete man vor einer Einfahrt. Und tatsächlich – im nächsten Moment fuhr die Limousine durch ein schmiedeeisernes Gartentor, das sich hinter dem Wagen automatisch wieder schloss.
    Der Silver Cloud rollte über einen Kiesweg durch einen ausgedehnten parkähnlichen Garten. Sina erkannte die Äste und Wipfel eines hohen, alten Baumbestandes vor dem klaren Nachthimmel, bevor der Wagen anhielt. Wie von Zauberhand wurden die Seitenscheiben wieder klar, der Motor verstummte und die beiden Fahrer stiegen aus. Georg wartete darauf, dass der Schlag geöffnet werden würde, doch der Beifahrer klopfte erst von außen an die Scheibe und deutete auf sein Gesicht, ein Zeichen, die Maske wieder aufzusetzen.
    Seufzend legte Sina die Volto nero wieder an und stieg aus. Vor ihm ragte eine riesige Villa aus der Ringstraßenzeit empor, hinter ihm plätscherte ein großer Springbrunnen im Mittelpunkt des Wendekreises der Zufahrtsstraße. Die Brunnenfigur, ein nackter, antiker Knabe aus Bronze, reckte schützend die Hände empor. Darunter stand in Marmor gemeißelt »Ilioneus«.
    Wuchtige, geschwungene Kandelaber beleuchteten das Haus und eine gewaltige, geschwungene Freitreppe führte zur Eingangstüre. Auf dem weiten Kiesplatz standen Dutzende Luxuslimousinen, einige mit Diplomatenkennzeichen und kleinen Fähnchen an den Kotflügeln. Zwischen den Bäumen hatten einige Chauffeure schwarze S-Klasse-Mercedes dezent geparkt und standen nun rauchend und plaudernd beisammen. Georg sah das Aufglühen ihrer Zigaretten in der Dunkelheit.
    Die Fassade des herrschaftlichen Gebäudes war aus doppelt gebrannten Wienerberger Ziegeln gemauert. Nur die Verzierungen und Fensterstürze bestanden aus Kalk- oder Sandstein. Aus den offenen Fenstern drang Musik und Lachen.
    Sina atmete die kühle Abendluft, die nach frisch gemähtem Gras, Rosen und Koniferen roch. In den Ästen zirpten Zikaden und versuchten, die übermütig lauten Stimmen der Gäste zu übertönten. Schade, dachte Georg, wir werden wohl keine ruhige Ecke finden, Irina und ich. Die Party ist schon in vollem Gange. Gerne hätte Georg mit ihr einen Spaziergang durch den Park gemacht, um die Nacht und den sicher atemberaubenden Ausblick zu erkunden.
    Bestimmt konnte man von hier Schloss Schönbrunn und die Gloriette auf der anderen Seite des Wientales sehen, überlegte er. Er träumte davon, vor diesem Panorama Irina zu küssen, sicher eine unvergessliche Erinnerung.
    Die beiden Chauffeure rissen ihn ungeduldig aus seinen Tagträumen, nahmen ihn in die Mitte und führten ihn die Stufen hinauf zum Eingangstor der Villa. Vor dem schweren, geschnitzten Eichentürblatt, von dem ein Satyr seine Zunge und Mänaden ihre entblößten Brüste dem Besucher entgegenstreckten, standen plötzlich zwei junge Frauen in durchsichtigen, langen weißen Gewändern. Eine hielt ihm lächelnd ein Tablett hin, auf dem ein weiteres Kuvert lag. Sina griff nach der Botschaft, riss das Kuvert auf und zog das Billet aus dem Umschlag.
    Er hielt es näher ans Licht, das von einer Jugendstillampe neben der Tür auf den Eingang fiel. Auch diese Nachricht war aufwendig auf handgeschöpftem Papier gedruckt, ein Beweis, dass seinen Gastgebern nichts zu teuer war. Er bemerkte die Ungeduld seiner zwei Begleiter, die

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