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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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schmiegte sich an ihn. »Manche sind die erwachsenen Töchter einiger unserer Gäste, andere sind Studentinnen, die ein erotisches Abenteuer suchen, und wieder andere kommen hierher, weil sie sich von ihrem Auftritt mehr Aufmerksamkeit versprechen, als sie tagsüber bekommen.«
    »Du meinst, keine erhält Geld dafür?«
    »Nein, die meisten nicht …«, erwiderte Irina. »Alle, die du heute Abend hier kennenlernen wirst, sind eingeladen worden, aber keinesfalls dazu gezwungen oder dafür bezahlt. Außer sie fassen es als zusätzlichen Reiz auf … Alles andere wäre stillos und würde den Zauber der Nacht zerstören.«
    Sie strich ihm mit dem Zeigefinger über die Wange. »Komm, lass uns auf Entdeckungsreise gehen.«
    »Mit dir? Auf der Tegetthoff bis zum Nordpol und wieder zurück«, lächelte Georg und nahm einen Schluck Cognac, bevor er das Glas auf das diensteifrig dargebotene Silbertablett stellte und Irina ihn mit sich fortzog.
    Herbst 1888, Villa Ilioneus, Gallitzinberg, Wien/Österreich
    E r war groß, fast zwei Meter, auf den ersten Blick splitterfasernackt und unglaublich laut. Der Mann, der grölend die repräsentative Freitreppe der Villa mit einer Champagnerflasche in der Hand herunterpolterte, kam Kronprinz Rudolph, der im Foyer stand, gleich bekannt vor. Ein Militärtschako, ein Säbel um die Hüften und gewichste Reitstiefel, das war die gesamte Garderobe des ansonsten völlig unbekleideten Sängers.
    Hinterher eilte ein verzweifelter Adjutant, der sich die Haare raufte und immer wieder vergeblich versuchte, seinem anbefohlenen »Schützling« die himmelblaue Uniformjacke um die Schultern zu hängen.
    »Kaiserliche Hoheit, ich bitte Sie …«, forderte der Adjutant ein wenig kleinlaut und änderte seine Taktik – er hielt die Jacke wie einen Sichtschutz vor das Geschlecht des Nackten. Aber der wollte gar nicht bedeckt werden und wehrte den Versuch brüsk ab. Er holte aus, wischte den Adjutanten mit einer windmühlenartigen Armbewegung wie eine lästige Fliege beiseite und wäre beinahe gestürzt, mitgerissen vom eigenen Schwung.
    Im letzten Moment gelang es ihm, die schwarze Balustrade zu erreichen und sich dort wieder hochzurappeln. Dann nahm er einen kräftigen Zug aus der Flasche, wischte sich mit dem Handrücken über den dunklen Schnurrbart und brüllte sofort wieder los:
    »In Böhmen liegt ein Städtchen
das kennt wohl jedermann
die allerschönsten Mädchen
trifft man darinnen an
Und in dem kleinen Städtchen
liegt eine Garnison
von lauter schmucken Jägern
ein ganzes Bataillon
Und jeder von den Jägern
liebt ein Mägdelein
und jedes von den Mädchen
möcht einen Jäger frein
Da mussten sie marschieren
hinaus zum blutigen Krieg
zu streiten für den Kaiser
zu kämpfen um den Sieg!«
    Der Adjutant war zu Boden gegangen, aber er war hart im Nehmen, nach den Abenteuern der letzten Monate. Er verdrehte die Augen, stand auf und versuchte es noch einmal mit einem »Das können S’ doch nicht machen, Kaiserliche Hoheit, ich bitte Sie …«
    »Was willst von mir, du Safaladibruder …?« Der Betrunkene rülpste dem Verzweifelten ins Gesicht. »Wenn’s doch wahr is …« Dann rührte er kurz mit dem ausgestreckten Zeigefinger in der Luft, wie ein Dirigent, dessen Orchester längst bewusstlos geworden war und ihn nicht mehr sehen konnte. Schließlich pochte er seinem Leutnant auf die Brust.
    »Du Lercherl, das war eine verdammte Schande … Und es is mir wurscht, ob ich drüber reden soll, oder nicht, verstehst?«
    Der Adjutant wusste nicht mehr, was er sagen sollte, und verstummte mit gequälter Miene. Der Nackte wandte sich ebenfalls angewidert ab, stieß erneut die angebotene Uniformjacke beiseite und grölte noch viel lauter als vorher:
    »Im Maimond neunundfünfzig
da ging der Jammer los
da weinten alle Mädchen
da weinten Klein und Groß
Im Hage bei Magenta
grub man ein großes Grab
da senkte man die Braven
die Tapfern all hinab
Dort liegen sie beisammen
zwölfhundert an der Zahl
getroffen von den Kugeln
getroffen von dem Stahl
Gemein’ und Offiziere
sie ruhn in einem Grab
und die zum Sturmmarsch bliesen
riss auch der Tod hinab.«
    »Kaiserliche Hoheit, jetzt ist es aber wirklich …«, versuchte es der junge Offizier noch einmal, aber diesmal mit mehr Nachdruck.
    »Gusch!«, schrie die kaiserliche Hoheit. »Du … du … Regimentsbubi!
    »… genug«, komplettierte der Leutnant seinen Satz und warf verzweifelt die Arme in die Höhe.
    Der Erzherzog stolperte unterdessen weiter die marmorne

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