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Narrenspiel: Peter Nachtigalls dritter Fall (German Edition)

Narrenspiel: Peter Nachtigalls dritter Fall (German Edition)

Titel: Narrenspiel: Peter Nachtigalls dritter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Steinhauer
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gespannt zu.
    »Ich kenne die Regeln und ich würde sie auch gerne zu 100% einhalten – aber ich kann nicht. Mein Arzt, also ich hatte heute einen Termin bei ihm und – also er ist leider nicht zufrieden mit meinen Werten.«
    Paul beobachtete mit wachsender Ungeduld, wie Niels sich anschickte, seinen Satz zu gebären.
    »Mein Gesamteiweiß, versteht ihr? Es ist zu niedrig. Mein Arzt meint, ohne Fleisch geht es eben bei mir nicht. Nur Käse, Joghurt und Milch sind nicht genug für mich. Müsst ihr mich jetzt ausschließen?«
    Paul fuhr mit der Hand hart durch die Luft und schnitt damit jede Diskussion ab.
    Dann tat er so, als müsse er dieses Problem ernsthaft durchdenken, schließlich hatte Niels seinen Satz auch endlos in der Schwebe gehalten. Füßescharren zeigte ihm, wie die Spannung im Raum stieg, alle Augen waren auf ihn gerichtet.
    »Tja Niels, unser Motto lautet: ›Keep your mind in mind‹, und natürlich sind wir dagegen, dass nur für einen vermeintlichen Genuss Tiere sterben müssen. Doch auf der anderen Seite können wir die Gesundheit unserer Mitglieder nicht riskieren. So denke ich, ist es in unser aller Sinne, wenn ich dir eine Sondergenehmigung für den Fleischverzehr erteile. Vielleicht solltest du aber sorgfältig darauf achten, woher das Fleisch stammt: Wie hat das Tier gelebt und wurde es möglichst ohne unnötige Qualen getötet? Am besten, du kaufst das Fleisch beim Biobauern direkt, siehst dich dort gründlich um und vergewisserst dich, dass das Tier artgerecht gehalten wurde.«
    Niels Gesichtszüge hellten sich auf.
    »Weißt du Niels, wir wollen niemanden unterjochen. Unsere Mitglieder versuchen, sich bewusst zu machen, was sie tun und wie sich ihr Tun auf ihre Psyche auswirkt. Macht es sie traurig, aggressiv, benebelt, stumpft es sie ab. Wenn ein Mitglied Fleisch isst oder ein Glas Wein trinkt, sollte es sich im Klaren darüber sein, dass für das Schnitzel ein Mord«, er zuckte kurz zusammen und hoffte, die anderen hätten es nicht bemerkt, »begangen wurde und Alkohol ein Gift ist, das den Geist benebeln und dem Körper schaden wird.«
    »Dann ist es also nicht wirklich verboten?«
    »Nein, denn wer bin ich, dass ich dir etwas verbiete, du bist ein erwachsener Mann. Unsere Regel lautet: Für mein Essen muss kein Tier sterben, weil ich nicht an diesem Mord schuld sein will. Das bedeutet, wir erwarten von jedem, sich daran zu halten. Bei dir machen wir eine Ausnahme.«
    Er blickte in die Runde und bemerkte, wie begeistert ihn die Anhänger der neuen Bewegung ansahen.
    »Seht ihr nicht – es ist wichtiger, sich die allgegenwärtigen Gefahren für unseren Geist vor Augen zu halten als stur irgendwelche Regeln zu befolgen – vielleicht sogar nur aus Angst vor Sanktionen. Möglicherweise stoßt ihr sonst unvermittelt auf eine Gefährdung und wisst nicht, wie damit umzugehen ist, weil es keine Regel dafür gibt. Nein – eure permanente Wachsamkeit und Aufmerksamkeit sind der beste Schutz für euren Geist.«
    »Und wir dürfen auch nicht vergessen, welch eine Vorbildfunktion wir für unsere Kinder haben und welche Verpflichtung die Elternschaft mit sich bringt. Kinder brauchen unseren besonderen Schutz vor den Gefahren, die draußen in der Welt auf sie lauern«, ergänzte Thorben und wies theatralisch auf die Tür.
    Schade, dass sein eigener Vater nie in der Lage war, sich mit den Anliegen der Mind Watchers auseinanderzusetzen oder wenigstens versucht hatte, sie zu verstehen. Vielleicht gab es wirklich eine Hölle, dann, so hoffte Paul Mehring inständig, würde die Seele seines Vater dort auf ewig schmoren.

13
    Peter Nachtigall war müde. Wie so oft in letzter Zeit – zu oft, dachte er mürrisch. Gut, er war keine 20 mehr – aber so alt war er nun auch wieder nicht. Stress? Lag es an der Trennung von Jule? Er konnte sich nicht ewig Zeit nehmen, sich daran zu gewöhnen, allein mit einem Tier zu leben. Ein Arrangement, mit dem der Kater auf jeden Fall gut leben konnte und er selbst würde es mit der Zeit schon lernen. ›Immerhin studiert Jule in Cottbus und nicht in Hongkong‹, hielt er sich vor, sie war nicht wirklich unerreichbar weit weg, wohnte beinahe um die Ecke. Wenn er ehrlich war, musste er zugeben, ein Leben ohne Anhang ließ sich auch wunderbar genießen.
    Warum war dann seine Stimmung so schlecht?
    Er trat an das Fenster seines Büros und sah hinaus. Fast wehmütig stellte er fest, wie rasch der Abend durch die Straßen kroch. Der Sommer war wohl endgültig vorbei –

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