Narrenspiel: Peter Nachtigalls dritter Fall (German Edition)
Mehrings gekommen, die Polizei hatten sie auch nicht eingeschaltet. Offenbar waren die Briefe nicht so richtig ernst genommen worden.
Vater Mehring leitete die Spedition, einer der Söhne würde sie nach seinem Tod weiterführen, überlegte Nachtigall weiter und versuchte die verstreuten Puzzleteile dieses Falles wenigstens zu sortieren, wenn sie sich schon nicht zusammenfügen ließen. War tatsächlich der Familienbetrieb das verbindende Element? Wenn das stimmte, konnte es gut möglich sein, dass die Drohungen und der tödliche Stich doch mit diesem Salmonellenfall von damals in Zusammenhang standen. Er würde der Sache gleich nachgehen, beschloss er und fuhr über die Kreuzung in Richtung Sachsendorf.
Der große Komplex war hell gehalten und strahlte Freundlichkeit aus. Nachtigall betrat das Gebäude durch eine Glastür und wurde sofort von einer jungen Dame am Empfang herzlich begrüßt. Er wies sich aus und sie führte ihn in ein Büro, das in kalkigen Grüntönen gehalten war.
»Kann ich Ihnen die Wartezeit vielleicht mit einer Tasse Kaffee verkürzen?«, fragte die junge Dame, die nach den Angaben auf dem Namensschild an ihrer Brusttasche Claudia Abend hieß.
»Nein, Dankeschön.« Nachtigall lächelte Claudia freundlich an und wurde allein zurückgelassen.
Er sah sich neugierig um. Es war wirklich alles grün gehalten: Der Schreibtisch, das Regal, die Vorhänge, der Bodenbelag, selbst die Vase mit Blume. Sabine, Nachtigalls kleine Schwester, hatte eines der Kinderzimmer grün eingerichtet, allerdings in fröhlichem, leuchtendem Apfel- und Gelbgrün. Das wirke beruhigend, hatte sie ihm erklärt und Nachtigall stellte nun fest, dass das für ihn nicht galt. Er fand dieses ›Ton in Ton‹ langweilig. Und wenn er sich langweilte, wurde er keineswegs ruhig, sondern eher gereizt.
Zum Glück wurde seine Geduld auf keine harte Probe gestellt. Die Tür öffnete sich mit leisem Schmatzen und ein unerwartet junger Mann betrat den Raum. Irritiert musterte Nachtigall den mittelgroßen, schlanken Leiter des Pflegeheims, der trotz der Wärme einen dunklen Anzug und ein weißes Hemd trug – natürlich mit einer grünen Krawatte. Die dunkelbraunen Haare waren exakt gescheitelt, Pomade oder Gel sorgte dafür, dass sich daran im Laufe des Tages auch nichts ändern würde. Auf der langen, schmalen Nase saß eine Brille, die er bestimmt nie zurechtrücken musste und die die zu eng beieinander stehenden Augen betonte, sodass das Gesicht etwas Raubvogelhaftes bekam. Sollte das tatsächlich der Leiter dieser Einrichtung sein? Er wirkte wie Ende 20.
»Manuel Grund – ich leite zurzeit kommissarisch diese Einrichtung. Wie kann ich der Polizei behilflich sein?«, fragte er höflich und sie begrüßten sich mit Handschlag.
»Peter Nachtigall. Wir ermitteln in einem Mordfall.«
»Das ist unmöglich! In unserem Haus ist nichts dergleichen vorgekommen. Wir betreuen unsere Gäste stets sehr fürsorglich und hätte es einen gewaltsamen Tod gegeben, wäre ich mit Sicherheit sofort informiert worden!«, reagierte Grund unerwartet heftig.
»Nein, nein, Sie missverstehen mich«, beruhigte ihn der Hauptkommissar, »ermordet wurde ein Speditionsunternehmer, der vor einigen Jahren mit Salmonellen verseuchte Lebensmittel an Sie ausgeliefert hatte. Es starben drei Ihrer Gäste. Der Name des Spediteurs ist Hans-Jürgen Mehring.«
Die Anspannung fiel zusehends von dem jungen Interimsleiter ab.
»Wissen Sie, wann das war? Ich kann mich im Moment nur vage an einen solchen Vorfall erinnern. Gab es nicht einen Prozess und er musste eine nicht unerhebliche Summe zahlen?«
Nachtigall nickte.
»Und der Mann ist nun ermordet worden?«
»Ja, letzten Sonntag. Mich interessiert in diesem Zusammenhang natürlich besonders, ob es Verwandte der damaligen Opfer gibt, die nun vielleicht beschlossen haben Rache zu nehmen.«
Manuel Grund drückte auf einen Knopf der Gegensprechanlage. Nachtigall registrierte die gepflegten Hände des Mannes und die polierten Fingernägel.
Die körperlose Stimme am anderen Ende bekam den Auftrag, die Akte zum ›Salmonellenurteil‹ herauszusuchen.
Während sie warteten, sprachen die beiden kein Wort mehr miteinander. Peter Nachtigall spürte den taxierenden Blick des anderen, sah, wie dieser abschätzig grinsend seinen Pferdeschwanz begutachtete und seinen Bauchansatz musterte. Vor 20 Jahren, dachte Nachtigall verärgert, war es für ihn auch noch kein Problem gewesen, sein Gewicht zu halten und nach einer
Weitere Kostenlose Bücher