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Narrenspiel: Peter Nachtigalls dritter Fall (German Edition)

Narrenspiel: Peter Nachtigalls dritter Fall (German Edition)

Titel: Narrenspiel: Peter Nachtigalls dritter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Steinhauer
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für den Fall, dass sie weiter mit mir Kontakt hielten. Wenn ich dann weinte, weil wieder eine Freundschaft nicht erhalten werden konnte, zerrte er mich vor die Familie und demonstrierte meine Schwäche, die auszumerzen sei. Einmal hat er mich sogar ins Büro zu seinen Truckern geschleift, die haben mich alle ausgelacht und er war zufrieden. Kontakte zu anderen, jungen Leuten fand ich erst, als ich das Internet nutzte. Hier war es ihm nicht mehr möglich, Freundschaften zu unterbinden«, erzählte er mit erstickter Stimme.
    Du liebe Zeit, dachte Peter Nachtigall, was für eine traurige Kindheit.
    »Konnte sich denn niemand gegen ihn wehren?«
    »Nein. Es war wie eine Käseglocke, unter der Sie einen Ameisenstaat halten. Klar hätten wir gemeinsam die Glocke anheben und uns befreien können. Aber dazu hätten wir uns einig sein müssen, wir hätten Mutter nicht zurücklassen dürfen und abgesehen davon waren wir von den Windeln an gewöhnt vor ihm zu kuschen. Ein Aufstand überstieg unsere Kräfte. Nun ist er tot, denken Sie jetzt – und sie sind die Glocke los, nicht wahr? Aber ich fürchte, zu solch einer unglaublichen Tat wäre keiner von uns fähig gewesen.«
    »Sie vergessen das Rattengift. Es gab nicht nur den Angriff mit dem Vorstecher.«
    »An dem Gift ist er aber nicht gestorben. Und stellen Sie sich vor, was hier los gewesen wäre, wenn mein Vater plötzlich den Eindruck gehabt hätte, sein Essen sei vergiftet. Bestimmt wäre er mit einer verdächtigen Probe in irgendein Labor gefahren und hätte sich seine Vermutung bestätigen lassen. Nein, solch ein Risiko wäre hier keiner eingegangen.«

24
    Michael Wiener fuhr zu einer Villa in der Ringstraße.
    Der Backsteinbau verfügte über einen Pool und einen Fahrstuhl, der Garten war gepflegt, liebevoll bepflanzt, mit einem Pavillon ausgestattet. Im kurz gehaltenen Rasen hatte man dem Unkraut keine Chance gelassen.
    Der hochbetagte Herr, der den jungen Ermittler begrüßte, benutzte zwar einen Stock, wirkte aber insgesamt rüstig und geistig rege. Er ging gebeugt, trug eine leichte, helle Sommerhose und ein Hemd mit in den Kragen gestecktem Halstuch. Aus hellbraunen Augen unter dichten weißen Brauen sah er den fremden Mann amüsiert an.
    »Die Kriminalpolizei? Das ist eine nette Abwechslung im Alltag. Martha!«, rief er mit brechender Stimme, »Martha, komm schnell, wir haben Besuch von der Polizei!«
    Eine dicke, ältere Dame mit rundem, freundlichem Gesicht kam trippelnd über den Flur und musterte den Besucher neugierig. Der junge Kripobeamte fühlte sich unbehaglich.
    »Das ist meine Martha!«, stellte der Hausherr unnötigerweise vor und führte die Prozession mit zitternden Knien an, die nun den Wohnraum betrat. Dort saß eine jugendliche Pflegerin auf dem überdimensionierten Sofa und lächelte ihre Schutzbefohlenen nachsichtig an.
    »Die beiden freuen sich immer so, wenn Besuch kommt«, erklärte sie, warf schwungvoll die blonde Mähne zurück und stellte sich als Schwester Christiane vor.
    Der Raum war sehr hoch und an der Stirnseite befand sich ein Regal, das bis direkt unter die Decke reichte. Eine Bibliotheksleiter stand davor, sodass man problemlos einen Band aus den oberen Fächern herausnehmen konnte. Die anderen Wände zierten große, moderne Gemälde mit abstrakten Motiven in grellen Farben.
    Sie nahmen in einer kubistischen, blauen Sitzgarnitur Platz und Michael Wiener gelang es nur mit größter Mühe, Kaffee, Kuchen und Sherry abzulehnen, musste sich aber bei den Keksen geschlagen geben, um nicht zu provozieren, dass die Dame des Hauses für ihn ein paar Sandwiches machte. »Sie könnten schon ein bisschen mehr auf den Rippen vertragen. Ein so junger Mensch braucht doch eine gute Ernährung, sonst haben Sie nichts entgegenzusetzen, wenn Sie mal krank werden«, klärte sie ihn auf.
    »Was?«, fragte der Hausherr, »wer ist krank?«
    »Niemand!«, schrie Martha, »alle sind gesund.«
    »Aber du hast doch gerade davon gesprochen, dass jemand krank ist!«, beharrte der alte Herr trotzig und strich energisch eine weiße Strähne zurück, die ihm in die Stirn gefallen war.
    Martha schüttelte den Kopf. »Nein!«
    Schwester Christiane beugte sich zu Wiener und flüsterte: »Er ist leider ziemlich schwerhörig. Aber er ist geistig noch völlig fit. Liest jeden Tag die Zeitung, sieht die Nachrichten, bestellt sich politische Literatur im Internet. Nur das Gehör hat im Alter nachgelassen.«
    »Ich komme von der Kriminalpolizei und möchte mich gerne

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