Narrenspiel: Peter Nachtigalls dritter Fall (German Edition)
ab. Handys sind im gesamten Klinikum auszuschalten. Dieser Raum hier ist eine Schleuse. Bitte ziehen Sie einen der Kittel an und streifen diese Hüllen über Ihre Schuhe. Dann können Sie die Station betreten. Herr Mehring liegt in Zimmer zwei. Treten Sie bitte nicht zu nah an sein Bett heran und beachten Sie die zu- und abführenden Versorgungsschläuche. Ich werde den diensthabenden Arzt informieren«, ratterte sie unfreundlich herunter, drehte sich um und eilte über den Gang der Station davon.
Die beiden Hauptkommissare kleideten sich um und kamen sich, als sie später langsam zu Mehrings Zimmer gingen, vor wie Wesen von einem fremden Stern. Bei jedem Schritt knisterten die Hüllen über ihren Schuhen und unter den gelben Kitteln wurde es trotz der Klimaanlage schnell sehr warm.
Wilhelm Mehrings Gesicht war bleich. Ein dicker turbanähnlicher Verband war um seinen Kopf geschlungen, der rechte Arm lag eingegipst auf der dünnen Decke, das rechte Bein war auch in einem Gipsverband. Um das linke Auge herum hatte sich ein fast schwarzer Ring gebildet. Ein Beatmungsgerät zischte in der Ecke. Er war an einen Monitor angeschlossen, der über Elektroden auf der Haut und einen Sensor am Finger wichtige Daten über den Zustand des Patienten als bunte Kurven sichtbar machte.
»Du liebe Güte. Das sieht aber nicht gut aus«, flüsterte Nachtigall betreten. »Möglicherweise hatte ich es in der Hand, es zu verhindern. Aber ich war so mit diesem Geißeln und dem Rattengift beschäftigt, dass ich gar nicht auf die Idee gekommen bin, ihn zu fragen, ob er auch solche Briefe bekommen hat. Dabei hätte ich wissen müssen, dieser Mann gibt mir nur die Informationen, nach denen ich direkt frage. Ich bin doch nicht erst seit gestern bei der Polizei!«
»Red nicht so einen Quatsch! Erstens wissen wir nicht, ob er einen bekommen hat und zweitens – selbst wenn, ist er alt genug zu wissen, dass er einen solchen Sachverhalt der Polizei mitteilen muss. Es wäre in jedem Fall seine eigene Entscheidung gewesen.«
»Wir treffen den Erkennungsdienst und eine Frau Traudl Hoffmann in zwei Stunden vor seiner Wohnung. Beschluss habe ich schon. Vielleicht finden wir einen Brief. Und heute Nachmittag ist Testamentseröffnung, da werden wir uns auch einfinden.«
»Guten Morgen! Ich bin Dr. Sommer. Sie sind die Herren von der Polizei?«
Sie drehten sich um und standen einem hochgewachsenen, äußerst schlanken Herrn mit grau meliertem Haar und Hornbrille gegenüber, der sie aus grauen Augen belustigt ansah. Nachtigall dachte einen Moment unbehaglich, dass sie sicher auch einen belustigenden Anblick boten und lächelte zurück.
»Ja. Mein Name ist Nachtigall, dies ist mein Kollege Skorubski. Wir ermitteln im Fall Wilhelm Mehring wegen Mordversuchs. Können Sie uns etwas zur Art seiner Verletzungen sagen?«
»Ja, schon. Er wurde wohl aus einer Gruppe Wartender direkt vor die in die Haltestelle einfahrende Bahn gestoßen. Vor der Stadthalle. Dabei traf ihn die Straßenbahn an der linken Schädelseite und warf ihn auf seine rechte Körperhälfte. Bruch der Schädelbasis. Diese ringförmige blauschwarze Verfärbung um das linke Auge herum ist ein Indiz dafür, ein Monokelhämatom. Außerdem hatte er ein subdurales Hämatom, eine Blutung in der Umgebung des linken Schläfenlappens. Daneben besteht eine Rippenserienfraktur rechts – deshalb wird seine Atmung unterstützt. Er könnte sonst wegen der Schmerzen nicht tief genug Luft holen. Dann wäre eine Pneumonie als Komplikation zu erwarten – und eine Lungenentzündung in diesem Alter ... Der Arm und das rechte Bein sind mehrfach frakturiert, auf der gesamten rechten Körperseite hat er Prellungen und Hautabschürfungen. Es musste ein neurochirurgischer Eingriff vorgenommen werden, um den Temporallappen zu entlasten.«
»Heißt das, er schwebt immer noch in Lebensgefahr?«
»In dem Alter sind solch ausgedehnte Verletzungen immer lebensbedrohlich. Wir müssen jetzt einfach abwarten, wie er den Eingriff überstanden hat, wie die Brüche heilen und ob er überhaupt wieder zu sich kommen wird. Zurzeit ist sein Zustand jedenfalls stabil. Mehr kann man nicht sagen.«
»Danke.«
»Sie sollten jetzt gehen. Auch wenn der Patient aussieht, als ob er friedlich schläft, wissen wir nicht, was an Störungen er bemerkt, was ihn belastet.«
Wortlos kehrten Nachtigall und Skorubski wieder zur Schleuse zurück.
30
Auf dem Weg ins Büro konnten sie schon von Weitem das schrille Protestgeschrei von Rolf
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