Narrenspiel: Peter Nachtigalls dritter Fall (German Edition)
denke, er hat’s kapiert.«
Und Michael Wiener, der ihrem unerwartet harten Blick und der entschlossenen Miene begegnete, hatte keinerlei Zweifel daran, dass sie recht mit ihrer Einschätzung hatte.
»Wir haben ein Video der Überwachungskameras im Stadion. Darauf ist der Mord festgehalten. Ich würde Sie bitten, einen Blick auf die entsprechende Sequenz zu werfen – der Täter ist leider nicht wirklich gut zu erkennen, aber vielleicht fällt Ihnen an der Person etwas auf, was uns weiterhilft.«
Marianne zögerte kurz – dann war sie einverstanden.
Umständlich hantierte der junge Mann am Wiedergabegerät herum. Diese Frau irritierte ihn. Er spürte, wie ein Schweißfilm sich auf seinem Rücken ausbreitete. Um das Gespräch nicht abreißen zu lassen, fragte er:
»Warum war denn Frau Mehring nicht Mitglied bei den ›drei goldenen Haaren‹? Oder wenigstens der jüngste Sohn?«
Als Marianne laut lachte, drehte er sich zu ihr um.
»Entschuldigung! Vielleicht wissen Sie das ja noch nicht. Der Mehring hat seine Hiltrud vor ewigen Zeiten geheiratet, als sie noch so ein jungscher Hüpfer war, ohne Pläne, ohne Ziele, ohne Geld. Er hat ihr was von Liebe erzählt, sie hatte keine Ahnung von der Welt und heiratete ihn. Seither lebte sie wie seine Gefangene in diesem Haus. Er arbeitet, er verdient das Geld, sie putzt und kocht, wäscht, bügelt und zieht die Kinder groß. Er kauft ein, was sie zu kochen hat. Gemeinsame Unternehmungen gibt es nicht. Er verbietet ihr zu telefonieren, sie darf niemanden ins Haus lassen, wenn er zu Hause ist, öffnet grundsätzlich er die Tür und schickt jeden weg, der Hiltrud besuchen möchte – ist er nicht da, darf sie die Tür nicht öffnen. Vertrackt.«
»Warum ließ sie sich das gefallen? Sie hätte ausziehen können, sich scheiden lassen.«
»Tja – das versteht hier auch niemand. Er gibt ihr nicht einmal ein bisschen Kleingeld für den Bus. Sie ist seit Jahren nur in diesem Haus.«
Wiener war fassungslos. Dass es so schlimm war, hatte er nicht erwartet.
»Einige im Ort glauben, sie hätte ihm ein Kuckuckskind untergejubelt und damit er sie und die Kinder nicht vor die Tür setzte, gab sie sich stets unterwürfig. Ich glaube das nicht. Gut, Paul ist blond und hat lockiges Haar – und ich weiß, in ihrer Familie gab es Blonde. Außerdem war sie schon immer so – es entspricht ihrem Naturell. Verhuscht und unterwürfig. Sie hatte in Mehring den idealen Mann gefunden – er befriedigte ihren unbewussten Wunsch nach Unterdrückung. Ihr Vater hat seine Frau durchaus ähnlich behandelt – nicht ganz so krass, aber eben ähnlich.«
»Von Ihnen hat sich niemand bereitgefunden ihr zu helfen, oder? Wenn Sie doch alle wussten, wie Herr Mehring seine Frau behandelt hat«, wagte der junge Mann einen schwachen Protest, der allerdings sofort abgeschmettert wurde.
Michael Wiener dachte an seine Freundin Marnie. Was auch immer an unbewussten Wünschen in ihr schlummern mochte – der Wunsch nach Unterdrückung war jedenfalls nicht dabei.
»Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied, nicht wahr? Sie hätte eben den ersten Schritt machen müssen, dann wäre ihr schon geholfen worden. Aber sie tat immer so, als sei sie mit ihrer Situation im Grunde ganz zufrieden.«
»Aha«, antwortete der junge Mann unbestimmt und hantierte weiter an dem DVD-Player herum.
Doch Marianne war gerade richtig in Fahrt gekommen.
»Meine Güte, er war ein solcher Tyrann und Hiltrud kann eigentlich froh sein, dass sie ihn los ist! Doch wie ich sie kenne, hockt sie jetzt verzweifelt in einer Ecke und heult, weil sie nicht weiß, wie es ohne ihn weitergehen soll. Sie kann wahrscheinlich nicht einmal allein Butter fürs Brot kaufen. Dabei sollte sie dankbar sein!«, schnaubte sie.
Endlich war das Gerät bereit, die DVD einzulesen und sie abzuspielen.
Marianne sah mit zusammengekniffenen Augen gebannt auf den Bildschirm.
Als sich die jubelnden Zuschauer wieder auf ihre Plätze fallen ließen, spielte ein zufriedener Zug um ihren Mund.
»Da wurde er erstochen, nicht? In dem Moment. Gut, dass endlich jemand den Mut gefunden hat! Leider ist wirklich nicht viel von dem Täter zu erkennen – obwohl mir irgendetwas an ihm vertraut vorkommt.«
Nachdenklich betrachtete sie das Standbild.
Michael Wiener hatte plötzlich den Eindruck, sie würde ihnen bestimmt auch dann nicht die Wahrheit sagen, wenn sie den Täter erkannt hätte.
38
Die geschmeidige Gestalt wartete.
Zum wiederholten Mal rekapitulierte der
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