Narrentanz - Bürkl, A: Narrentanz
Lippen sind. Ich halte das alles nicht aus, diese Kälte.«
»Du musst sie ertragen lernen.«
»For heaven’s sake!«
»Schsch, da kommt wer.« Arianes Stimme erstarb.
Berenikes Schulter wurde roh gepackt, Schmerzen durchfuhren ihren Nacken. Sie roch etwas, von dem sie kaum zu sagen vermochte, was es war – altes Brot, vielleicht. Hoffentlich nicht schimmlig. Ihr Magen knurrte verräterisch. Und da war Durst. Etwas wurde gegen ihre Lippen gedrückt. Sie biss, ohne dass sie sich bewusst dafür entschieden hätte, ja, ohne dass ihr Kopf das richtig wahrgenommen hätte, gierig, allzu gierig von diesem Ding ab. Brot, in der Tat. Sie kaute. Etwas Hartes folgte. Eine Flasche, rundes Plastik an ihren Lippen. Nass floss, überbordend, sie schluckte etwas davon, so gut sie konnte. Drückte ihren Kopf weg von dem Flaschenhals.
»Wer bist du?«, schrie sie.
»Bistu-tu-tu«, echote es. Sonst kam nichts. Wieder wurde ihr das Wasser angesetzt.
»Trink!«, flüsterte Ariane. Sie hörte sich sehr verständig, sehr rational an. »Man muss trinken, sonst stirbt man, wegen dem Salz, du trocknest aus.«
Na gut. Dann nochmals das Brot. Kauen. Trinken. Schlucken. Automatismus, wie seltsam der Körper reagierte. Aber das wusste sie, wusste es nur zu gut von früheren Ereignissen. Sie ließ sich nicht lähmen, jetzt nicht mehr, nicht für lange. Das hatte sie gelernt. Man musste sich zur Wehr setzen. Sie würden hier entkommen, das schwor sie sich. Sie und Ariane! Es durfte ihnen nicht ergehen wie Einstatt und Wengott.
Berenike spürte, dass sie wieder zu zweit waren. Wieviel Zeit wohl vergangen war? Jedes Gefühl dafür war verloren gegangen.
»Was ist passiert, Ariane, wie bist du hierher geraten?«
»Ich weiß nicht.« Die Journalistin schluchzte auf, unterdrückte das Weinen aber gleich wieder. »Ich habe nichts Böses getan. Im Gegenteil.«
Berenike musste an das Notizbuch denken, das sie am Seeufer gefunden hatte, unweit von dem ersten Leichenfund. Arianes Notizbuch. Sie hatte nur ein wenig darin geblättert, aber kaum etwas entziffern oder gar verstehen können. Allerdings waren ein paar Notizen vorgekommen, die zu einem Artikel über Tiezl passen konnten. Sodass sie sicher war, das Notizbuch gehörte Ariane. Zum Glück lag es bei Jonas, sodass es ihr hier nicht weggenommen werden konnte. Berenike schwieg und lauschte. Sie schienen weiterhin allein zu sein.
»Es müssen die Mörder sein, die uns hier festhalten.«
»Wie? Was meinst du, Berenike? Mörder? Wieso Mörder? Wer ist tot?«
»Zwei junge Männer.«
»Ich halte das nicht aus!« Jetzt doch das Aufheulen, heftiges Weinen neben Berenike, Schluchzer, rasches Atmen. Und sie hatte schon gedacht … hatte wirklich überlegt … ob Ariane … ob die Journalistin selbst mit in der Sache drinsteckte. Und wenn sie sich verstellte?
Berenike versuchte, sich ein wenig in Richtung von Arianes Stimme zu schieben. Aus der Nähe würde sie Nuancen in der Stimme, die auf Lügen und Schwindeleien hindeuten, besser erkennen können. Es schien ihr mit einem Mal absurd, dass jemand so tun könnte, als sei sie entführt worden …
Sie ruckelte und schob sich über den kalten Stein, endlich berührte ihre Schulter etwas Warmes. Ariane kreischte auf.
»Ruhig, ich bin’s nur.«
»Ja. Ja, natürlich.«
So gut das mit gefesselten Armen ging, strich Berenike der Journalistin mit ihrer Schulter über den Arm.
Endlich wurde das Weinen weniger, Arianes Stimme ruhiger. »Ich habe mich entschieden, Berenike. Ich werde dir alles erzählen, was passiert ist. Merk es dir, bitte, es ist wichtig, dass eine von uns der Polizei gegenüber Zeugnis ablegen kann!«
»Ja, Ariane.«
»Wenn wir überleben.«
»Wir werden hier rauskommen. Ich werde alles dafür tun«, versprach Berenike und konzentrierte sich, weil die Zähne schon wieder vor Kälte aufeinander zu schlagen begannen. Sie fühlte viel weniger Zuversicht in sich, als sie Ariane gegenüber zugegeben hätte. Sie musste sich um die Jüngere kümmern, zumindest für Berenike war es schließlich nicht die erste Ausnahmesituation. Sie hatte bereits scheinbar ausweglose Momente überlebt – sie würde es auch diesmal schaffen. An diese Vorstellung klammerte sie sich.
»Aber sag zuerst einmal, woran du dich erinnerst.« Noch wollte sie Arianes Notizbuch nicht erwähnen. »Weißt du, wie du hierher geraten bist?«
»Nein. Das letzte, was ich weiß, war mein Weg am See entlang. Ich war unterwegs zu einem Termin mit einem Informanten. Wir
Weitere Kostenlose Bücher