Narrentanz - Bürkl, A: Narrentanz
mit den Teebehältern. Sie öffnete die Dose mit dem grünen Sencha aus Japan, schnupperte an den großen grünen Teeblättern. Der würde genau das Richtige sein, um wach zu werden, körperlich und geistig.
Sie nahm eine der braunen Steingutkannen, die für grünen Tee reserviert waren und stellte sie bereit. Dazu wählte sie eine passende Tasse von schlammig grüner Farbe. Zart strich sie über die Keramik, fuhr mit einem Finger das einfache geritzte Muster nach. Schönheit, das war es, was zählte. Schönheit konnte so simpel sein. Sie würde auch über die aktuelle Sache hinweg kommen, ja, das würde sie. Ganz sicher. Wie über so viel anderes in ihrem 38-jährigen Leben. Das Leben ging weiter, ob man wollte oder nicht. Auch und gerade jetzt.
Sie stellte Wasser zu und blieb abwartend stehen, bis es kochte. Sich ganz auf die Zubereitung des Tees konzentrieren, ganz darin aufgehen. Ruhe breitete sich in ihr aus, endlich wieder so etwas wie Gelassenheit. Sie schwenkte die Kanne mit heißem Wasser aus, schüttete es weg und goss nach einem Weilchen, in dem sie das Wasser auf die richtige Temperatur für grünen Tee auskühlen ließ, auf. Rituale, wer sagte es denn.
Alma betrat als erster Gast den Salon, kaum dass der Tee fertig war. Sie winkte Berenike und ging auf eines der schwarzen Sofas hinten im Teesalon zu. Dort streifte sie ihre Schuhe ab und stellte sie in dem dafür vorgesehenen Regal ab. Sie setzte sich und nahm ein Notizbuch mit asiatischem Muster aus ihrer Tasche, kramte nach einem Kugelschreiber, sah einen Moment in die Luft und setzte zu schreiben an.
»Grüß dich, Alma. Was darf ich dir bringen? Meditationsmischung wie immer?«
Alma, heute in ein schwarzes Wollkleid gewandet, blickte auf. »Gern, bitte. Entschuldige, Berenike, ich bin in Gedanken. Meine neue Kolumne, und außerdem muss ich einen Sketch für mein Sternenkabarett schreiben …«
»Ich lasse dich schon in Ruhe«, lächelte Berenike, weil sie wusste, wie flüchtig Ideen sein konnten, und ging zurück zur Theke, um Almas bevorzugten Kräutertee in einer bauchigen weißen Porzellankanne zuzubereiten. Zusammen mit einer weißen Schale und einer kleinen Teeuhr brachte sie Alma das Tablett.
Hans betrat das Lokal gerade durch den Hintereingang und blickte Berenike fragend an. »Du schon so früh hier?«
»Hmhm«, nickte sie, »ich konnte nicht schlafen.«
»Verstehe.« Der Kellner ging nach hinten, um sich umzuziehen. »Geht es dir denn besser?«
»Geht so«, rief Berenike und schenkte sich von dem Sencha ein. An der Theke stehend, trank sie einen Schluck. Wie wohl das tat! »Magst du eine Tasse?«, fragte sie Hans, doch der Kellner lehnte ab. »Ich hab gerade mit Ulla gefrühstückt, aber danke.«
Nach und nach füllte sich der Salon mit Gästen. Die Faschingsgirlanden baumelten im Luftzug, wenn die Tür aufging. Laut Kalender hatte ein Buchhandelsvertreter seinen Besuch angekündigt, um Neuerscheinungen vorzustellen. Berenike zeigte Hans die Eintragung, der nickte nur. Sie verstanden sich ohne Worte. Er würde das übernehmen. Sie machte eine Notiz wegen Faschingsdekoration, die musste noch vervollständigt werden, da sie heuer ein orientalisches Karnevalsfest veranstalten wollte. An dem Plan wollte sie festhalten, jetzt erst recht. Außerdem brauchte sie passende Musiker – und eine Kostümierung sollte sie sich auch überlegen.
Wieder flog klingelnd die Tür auf. »Griaß di, Berenike!« Franz, der Briefträger, kam schwungvoll herein und brachte jede Menge frische Schneeluft von draußen mit. Er legte einen Stapel Zusendungen auf die Theke und verschwand wieder. Berenikes Blick flog zu der schwarzen Wanduhr, schon elf Uhr Vormittag. Die stumme Designeruhr hatte den Kuckuck ersetzt, den sie in ihrem ersten Sommer mit einem Buch erschlagen hatte – aus Zorn über den damaligen Mordfall. So ein Vogel kam ihr nicht mehr ins Haus.
Berenike spürte, wie sehr ihr Zeitgefühl immer noch durcheinander war. Dabei hatte man ihr gesagt, dass sie nur etwa 20 Stunden im Bergwerk festgehalten worden war. Zumindest hatte das Gerhard behauptet, der Bergarbeiter, der sie befreit hatte, sie und Ariane. Neuerlich flammten beim Gedanken an ihn Zweifel in ihr auf. Wieso hatte er gewusst, wo er sie finden konnte? Er hatte ihre Stimmen gehört, hatte er gesagt, und da diese aus einem stillgelegten Stollen kamen, war er nachsehen gegangen. Womöglich doch ein seltsamer Zufall … Wenn er der Täter wäre, welchen Sinn hätte es denn, dass er sie
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