Narrentreiben: Ein Fall für Hubertus Hummel (Hubertus Hummel-Reihe) (German Edition)
Brüderle«, motzte er seinen Assistenten an. »Hören Sie endlich mit dieser Pfeiferei auf. Und tun Sie mir den Gefallen: Stellen Sie dieses blöde Gerät ab. Dieses Gedudel ist ja nicht zum Aushalten.«
»Daaa-da-da-da-daaaa …«, ertönte es immer wieder aus den Boxen der Stereoanlage. Es war eine fröhliche, langsame Marschmelodie, die Brüderle fast zum Mitsingen animierte.
»Aber Chef, das ist der Rottweiler Narrenmarsch«, wandte er ein.
Müller schüttelte nur den Kopf. Vielleicht sollte er sich die zehn Jahre bis zur Pensionierung lieber in ein weit entferntes, protestantisches Nest versetzen lassen – wo man nicht mal wusste, wie man das Wort Fasnacht schrieb. Am besten irgendwo in Norddeutschland, vielleicht auf eine einsame Hallig, wo ihn diese Verrückten nie erreichen würden.
Wenn der ganze Fasnachtsspuk vorbei war, würde er sich darüber mal Gedanken machen.
Das Touristenstädtchen Triberg, aus dem Müller kam, lag zwar nur fünfundzwanzig Kilometer von Villingen-Schwenningen entfernt. Fasnachtsscheu war er allerdings schon, seit ihn im zarten Alter von sieben Jahren bei einem Umzug ein paar Hexen so erschreckt hatten, dass er in ein Güllefass gefallen war. Seit diesem Tag war für Müller das Thema Fasnacht passé. Lieber würde er in den Triberger Wasserfall springen, als sich noch mal einem Fasnachtsumzug auszusetzen.
»Das ist mir völlig egal, was das ist. Stellen Sie’s einfach ab!«, meinte er barsch.
Wer kein Verständnis für die Fasnet hatte, war hier fehl am Platz, dachte Brüderle. Sein Chef ging ihm zunehmend auf den Geist. Eigentlich wäre er selbst doch als Ermittlungsleiter viel besser geeignet gewesen, fand er. Doch er sagte nichts und stellte sich vor den schwarzen Stereoturm. Neben der Wiederholungstaste am CD-Player leuchtete ein kleines Lämpchen. Offenbar lief schon seit Stunden dieselbe Melodie: die Nummer 17 auf der Fasnachtsmarsch-CD. Brüderle betrachtete interessiert den Index auf der Rückseite des Covers: »Heinrich von Besele. Historischer Rottweiler Narrenmarsch 1882.«
Der Schwenninger und der Villinger Marsch waren natürlich ebenfalls vertreten. Am liebsten hätte er die auch noch abgespielt und dann den Elzacher, den Oberndorfer und den Überlinger. Aber mit Rücksicht auf seinen fasnachtsmuffeligen Chef nahm er lieber einen Latexhandschuh aus seiner Jackentasche, zog ihn über und drückte die Stopp-Taste. Bloß keine Fingerabdrücke!
Dann griff er noch mal nach der CD-Hülle. Welche Märsche waren denn noch drauf? Vielleicht sollte er sich diese CD heimlich brennen? Allerdings stünde das seiner durchaus hoffnungsvollen Karriere bei der Polizei möglicherweise im Weg. Als er die CD zurückstecken wollte, fiel ihm ein Zettel auf, der innen in der Hülle klemmte. »68. Rottweil. Der Federahannes tobt«, las er.
Die Wörter waren in Druckbuchstaben geschrieben, mit schwarzem Filzstift. Brüderle ließ die CD mitsamt Hülle und Zettel in seine schwarze Manteltasche gleiten.
Jetzt, da die Musik verstummt war, hörten sie nur noch die Geräusche aus dem zweiten Stock, wo ein paar Beamte auf den knarrenden Holzdielen herumgingen, während sie Bergers Schlafzimmer durchsuchten.
»Brüderle, holen Sie einen Kollegen von oben und nehmen Sie sich mal den Keller vor«, ordnete Müller an.
Kriminaloberkommissar Brüderle verließ den eleganten Wohnraum. Von der hohen Decke hing ein prächtiger Kronleuchter herunter, der die Stuckverzierungen erst richtig zur Geltung brachte. Ein riesiger Erker trug zum herrschaftlichen Charakter des Wohnraums bei. Gegenüber thronte ein großer, mit Marmorplatten verzierter Kamin.
Müller wandte sich an Hauptkommissar Winterhalter: »Diesmal brauche ich nicht nur bei der Spurensicherung Ihre Hilfe.«
Winterhalter verzog seine Mundwinkel zu einem interessierten Lächeln. Sein Gesicht mit den geröteten Wangen erinnerte Hauptkommissar Müller an die Villinger Narroschemen, die an den Wänden der Bergerschen Villa hingen und fast ironisch auf ihn herabzugrinsen schienen. Er fühlte sich irgendwie beobachtet – und das mochte er gar nicht.
»Ich habe keine Ahnung von diesem ganzen Mummenschanz. Sie wissen da besser Bescheid«, gestand er Winterhalter. »Wie es aussieht, haben wir hier nicht nur einen Mord an Fasnacht, sondern auch einen mit fasnachtlichem Hintergrund …«
»Sieht fascht so aus. En ermordete Villinger Narro, abg’legt ausgerechnet am Schwenninger Narrebrunne. Und dann der komische Zettel: 68.
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