Narrentreiben: Ein Fall für Hubertus Hummel (Hubertus Hummel-Reihe) (German Edition)
dieses Falls schien man profunde Kenntnisse der schwäbisch-alemannischen Fasnet zu brauchen. Natürlich konnten theoretisch auch eine Frauengeschichte oder berufliche Rivalitäten hinter dem Mord stecken, doch Müller vertraute auf seinen Instinkt. »Das Motiv ist immer auf dem Feld zu suchen, das mich am meisten nervt«, murmelte er. »Also in diesem Fall die Fasnacht …«
Er wollte diesen Fall aufklären – und zwar möglichst in den zehn Tagen, bis Brüderle wieder zurückkam. Lustlos klickte er sich im Internet durch alle möglichen Seiten über die schwäbisch-alemannische Fasnet. Er sah Dutzende von Narren in Aktion – vom Überlinger Hänsele bis zum Oberndorfer Schantle.
Um sein Wissen zu vertiefen, hatte Müller einen der Villinger Obernarren aufs Präsidium bestellt, obgleich der mit diesen Hobbyschnüfflern befreundet war. Dieser Didi Bäuerle schien sich auszukennen und konnte ihm vielleicht sagen, ob eine Fehde zwischen Villingern und Schwenningern hinter dem Mord steckte, was die Rottweiler und nun vielleicht auch noch die Elzacher damit zu tun hatten.
Müller blickte auf die große Uhr, die zwischen dem Landes- und dem Bundesvater hing – auch sie stammte nicht aus Schweden, sondern aus Schwenningen, eine original Mauthe. Mit Uhren kannte sich Müller aus.
Zehn vor zehn, bald würde Bäuerle kommen. Doch zuvor wollte Müller beim Zunftmeister in Elzach anrufen. Aus dem Internet wusste er, dass der »Schuttig« tatsächlich die Hauptfigur der Elzacher Fasnet war und dass dieser einen Dreispitz trug, der mit kleinen Schneckenhäuschen besetzt war. Die Schneckenhäuschen vom Tatort würden vermutlich bei irgendeinem dieser Schuttige fehlen.
Eigentlich ganz einfach.
Müller kämpfte gegen sein Sodbrennen an, das durch den Kaffee weiter verstärkt wurde. Abermals musste er sauer aufstoßen. Dann räusperte er sich. Es galt jetzt, diesem Elzacher Zunftmeister klarzumachen, dass es um einen Mordfall ging und wahrscheinlich Gefahr im Verzug war.
Beim Versuch, Verwandte von Berger ausfindig zu machen, waren er und seine Kollegen bisher gescheitert – bis auf die Exfrau, die aus Rottweil stammte und nun auch wieder dort wohnte, gab es anscheinend niemanden. Die Trennung lag aber offenbar schon fast zehn Jahre zurück.
Müller überlegte: Würde er seine eigene Frau zehn Jahre nach einer Trennung ermorden? Nein. Eigentlich, so war er sich ziemlich sicher, würde er sie gar nicht ermorden. Aber sie ihn vielleicht, wenn sie die Neuigkeiten mit dem geplatzten Urlaub erfuhr …
Die Laune des Kommissars befand sich auf dem Tiefpunkt. Zu allem Überfluss würden sich bestimmt auch die Medienheinis bald wieder wichtigmachen. Aus gutem Grund hatte er den Polizeipräsidenten so lange bearbeitet, bis dieser eine Nachrichtensperre über den Fall verhängt hatte.
Zumindest aus seiner Sicht war der Grund gut: Er wollte in Ruhe ermitteln. Allerdings saß ihm der Chef im Nacken, dem an seinem regelmäßigen Erscheinen in den Medien gelegen war.
Dieser Riesle hatte in der heutigen Ausgabe des Schwarzwälder Kuriers den Mord in epischer Breite beschrieben. Abgesehen von der Fundstelle der Leiche und der Identität des Opfers war ihm glücklicherweise nichts bekannt gewesen. Aber das wenige hatte er ganz ordentlich ausgeschmückt.
Wenigstens wusste Müller im Gegensatz zur Presse endlich etwas Konkretes über Todeszeitpunkt und Todesursache. Zwischen neunzehn und zweiundzwanzig Uhr am Freitagabend war Berger gestorben – das hatte die Obduktion ergeben. Da die Zeugin Gremmelsbacher den Ermordeten um zwanzig vor acht noch gesehen hatte, blieb ein Zeitfenster von etwa zweieinhalb Stunden. Der Mord war also während des Zunftballs geschehen, zu dem das Opfer erwartet wurde. Todesursache war laut Obduktion eine doppelte Schädelfraktur infolge eines Schlages mit einem stumpfen Gegenstand – wohl unzweifelhaft der Narrosäbel.
Der Fundort war also definitiv nicht der Tatort.
Was war eigentlich geschehen? Wann genau war Berger in seinem Häs erschlagen worden? Und wer war der letzte Besucher gewesen?
Gedankenverloren klopfte Müller auf dem Tisch herum, bis ihm auffiel, dass es tatsächlich der Rottweiler Narrenmarsch war, den er da trommelte. Daran war nur sein Kollege Brüderle schuld, denn der hatte diese verdammte Musik im Haus des Ermordeten nicht rechtzeitig ausgemacht.
Warum war dieser Marsch die ganze Nacht über gelaufen? War das Zufall gewesen, oder wollte der Mörder damit etwas sagen?
Der
Weitere Kostenlose Bücher